Nebelsturm
andere, aber sie konnte keine Gesichtszüge erkennen. Sie hätte zu gerne ein Fernglas gehabt, um die beiden auf dem dunklen Parkplatz besser sehen zu können, als die in den Wagen einstiegen.
Einbrecher? Das konnte man so nicht sagen.
Das sind ganz normale Handwerker, meine Kleine , hörte sie Martins überhebliche Stimme, aber das war ihr egal.
Die Männer verließen den Parkplatz, und Tilda folgte ihnen. Der Lieferwagen fuhr zurück in die Innenstadt und Tilda mit gehörigem Abstand hinterher.
Die Fahrt endete bei den Hochhäusern neben dem städtischen Krankenhaus, der Wagen hielt am Bürgersteig. Die beiden Männer stiegen aus und verschwanden in einer Haustür.
Tilda blieb sitzen und wartete, etwa eine halbe Minute später ging das Licht hinter einem der Fenster im zweiten Stock an.
Schnell notierte sie sich die Adresse. Sollten das die Einbrecher sein, wusste sie wenigstens, wo sie wohnten. Das Beste wäre natürlich, in die Wohnung einzudringen und nach Beute zu suchen, aber ihr einziger Anhaltspunkt war Edlas Zeugenaussage, dass sich der Lieferwagen zur fraglichen Zeit auf Öland aufgehalten hatte. Das genügte nicht für eine Hausdurchsuchung.
»Ich habe die Akte über den Unfalltod der Katrine Westin geschlossen«, verkündete Tilda zwei Abende später, als sie mit Gerlof beim Kaffee saß.
»Den Mord an Katrine Westin, meinst du?«
»Das war kein Mord!«
»Doch«, widersprach Gerlof. »Das war es!«
Tilda entgegnete nichts, sondern holte nur schweigend das Tonbandgerät aus ihrer Tasche.
»Wollen wir einen letzten …«
Gerlof unterbrach sie.
»Ich habe einmal gesehen, wie ein Mann beinahe umgebracht wurde, ohne dass ihn jemand berührt hätte.«
»Ach ja?«
Unbeeindruckt platzierte Tilda das Tonbandgerät auf dem Tisch, schaltete es jedoch noch nicht ein.
»Das war ein paar Jahre vor Kriegsausbruch, drüben in Timmernabben am Kalmarsund«, erzählte Gerlof. »Dort lagen zwei Steinfrachter in bester Eintracht miteinander vertäut. Auf dem einen Frachter hatte ein Steuermann aus Byxelkrok und auf dem anderen ein Leichtmatrose aus Degerhamn angeheuert. Die beiden gerieten in Streit und standen an der Reling ihrer Frachter und schrien sich an. Dann spuckte der eine dem anderen ins Gesicht … und da wurde es Ernst. Sie bewarfen sich mit Steinbrocken, und schließlich stieg der Leichtmatrose auf die Reling, um auf den benachbarten Frachter zu springen. Aber weit kam er nicht, denn sein Widersacher empfing ihn mit dem Bootshaken.«
Gerlof machte eine Kunstpause und trank einen Schluck Kaffee.
»Die Bootshaken von heute sind ja so kleine Dinger aus Plastik, aber damals waren das richtige Holzpfähle mit einem riesigen Eisenhaken. Der Angreifer sprang über die Reling, blieb aber mit seinem Hemd in dem Eisenhaken hängen und schwebte in der Luft. Dann fiel er wie ein Stein zwischen die Schiffswände und stürzte ins Wasser … er konnte nicht wieder auftauchen,weil sein Widersacher ihn mit dem Bootshaken unter Wasser drückte.« Er sah Tilda fest in die Augen. »So muss es auch den Armen im Opfermoor ergangen sein.«
»Hat er das überlebt?«
»Ja, wir haben den Streit beendet und den Matrosen wieder an Deck geholt. Aber es wäre beinahe böse ausgegangen.«
Tilda warf einen resignierten Blick auf das Tonbandgerät. Sie hätte es einfach einschalten sollen.
Gerlof beugte sich unter den Tisch und raschelte mit irgendwelchen Papieren herum.
»An diese Auseinandersetzung habe ich gedacht, als ich darum bat, mir die Kleidung von Katrine Westin ansehen zu dürfen.«
Er hob ein Kleidungsstück aus einer Papiertüte. Es war die rote Jacke mit Fellkapuze.
»Der Mörder hat Åludden mit einem Boot angesteuert«, sagte Gerlof, »und dort draußen an der Mole angelegt, wo Katrine Westin auf ihn gewartet hat. Sie muss ihn gekannt und ihm vertraut haben, denn sie ist nicht weggelaufen. Er hatte einen Bootshaken in den Händen, aber das ist nicht ungewöhnlich, wenn man ein Anlegemanöver fährt. Dieser jedoch war eine ältere Version … ein langer Pfahl mit einem Eisenhaken vorne. Damit hat er ihre Kapuze gepackt und sie mit dem Haken zuerst ins Wasser geschleudert und dann unter Wasser gedrückt, bis sie sich nicht mehr rührte.«
Gerlof breitete die Jacke auf dem Tisch vor ihnen aus. Tilda sah sofort, dass die Kapuze beschädigt war, ein spitzer Gegenstand hatte zwei etwa daumengroße Löcher in den roten Stoff gerissen.
22
W enn Joakim abends am Küchenfenster stand und hinausschaute,
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