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Nebelsturm

Nebelsturm

Titel: Nebelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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öffnete, schlüpfte er schnell durch den Türspalt und verschwand.
    »Jetzt darf er endlich loslegen und ein paar Ratten jagen«, sagte sie amüsiert.
    »Ich habe hier noch keine einzige Ratte gesehen!«, erwiderte Joakim mürrisch.
    »Das liegt daran, dass sie klüger sind als du.« Mirja nahm sich einen Apfel aus der Schale auf dem Küchentisch und fuhr fort: »Wann kommt ihr mich mal in Kalmar besuchen?«
    »Ich wusste nicht, dass wir eingeladen sind.«
    »Aber selbstverständlich.« Sie biss herzhaft in den Apfel. »Kommt, wann ihr wollt.«
    »Soweit ich weiß, hat Katrine nie eine Einladung bekommen.«
    »Katrine wäre niemals vorbeigekommen. Aber wir haben wenigstens ab und zu miteinander telefoniert.«
    »Ja, einmal im Jahr, vielleicht«, korrigierte Joakim sie. »Sie hat an Weihnachten angerufen, aber das hat sie immer hinter verschlossener Tür gemacht.«
    Mirja schüttelte den Kopf.
    »Ich habe vor einem Monat das letzte Mal mit ihr gesprochen.«
    »Und worüber?«
    »Nichts Besonderes … über meine nächste Ausstellung in Kalmar. Und über meinen neuen Freund Ulf.«
    »Mit anderen Worten, ihr habt über dich gesprochen!«
    »Auch über sie.«
    »Und was hat sie gesagt?«
    »Sie war einsam hier draußen«, berichtete Mirja. »Sie vermisse Stockholm überhaupt nicht, sagte sie … aber sie hat dich sehr vermisst.«
    »Ich musste ja noch länger arbeiten«, entschuldigte sich Joakim.
    Natürlich hätte er seinen Posten als Lehrer auch früher verlassen können. Er hätte so viele Dinge anders machen können, aber darüber wollte er nicht mit Mirja reden.
    Sie schlenderte durch den Flur und begutachtete den Stand der Renovierungsarbeiten, blieb dann aber vor dem Rambe-Gemälde neben Joakims Schlafzimmer stehen.
    »Das habe ich Katrine zu ihrem Zwanzigsten geschenkt«, sagte sie. »Ein Erinnerungsstück an ihre Großmutter.«
    »Sie mochte es gerne.«
    »Es sollte nicht hier einfach so rumhängen«, bemerkte Mirja irritiert. »Ein Gemälde von Torun, das vor Kurzem auf einer Auktion versteigert wurde, ging für Dreihunderttausend weg.«
    »Ach ja? Aber niemand weiß, dass es hier hängt.«
    Mirja betrachtete versunken das Bild und folgte den grauschwarzen Farbstrichen der Ölfarbe mit den Augen.
    »Es hat keine einzige horizontale Linie, daher ist es auch so schwer, es zu betrachten«, erklärte sie. »So malt man, wenn man dem Nebelsturm ausgesetzt gewesen ist.«
    »Ist das Torun passiert?«
    »Ja, gleich in unserem ersten Winter auf Åludden. Es hatte eine Schneesturmwarnung gegeben, aber Torun machte sich trotzdem auf den Weg zum Opfermoor. Sie liebte es, über die Insel zu spazieren, sich irgendwo hinzusetzen und zu malen.«
    »Wir waren gestern da. Das ist schön im Moor.«
    »Nicht, wenn der Nebelsturm kommt«, sagte Mirja düster. »Toruns Staffelei wurde einfach weggeblasen, und sie hatte in Sekundenschnelle nur noch wenige Meter Sicht. Die Sonne verschwand, überall war nichts als Schnee.«
    »Aber sie hat es doch überlebt?«
    »Sie hatte sich verirrt und lief direkt auf das Moor zu, ihre Füße waren schon im Wasser. Da lichtete sich der Schneesturm für einen kurzen Moment, und sie sah das Leuchtturmfeuer aufblitzen.« Mirja versank wieder im Anblick des Gemäldes. Leise fuhr sie fort. »Das war in letzter Sekunde. Sie erzählte mir später, dass sie die Toten gesehen hatte, als sie da durchs Moor gestapft war … die Toten, die in der Eisenzeit geopfert wurden. Sie stiegen aus dem Wasser und wollten nach ihr greifen.«
    Joakim hörte ihr interessiert zu. Langsam verstand er, wie die besondere Atmosphäre in Toruns Gemälden zu erklären waren.
    »Danach hat sie Schwierigkeiten mit ihren Augen bekommen, damals fing es an, und zum Schluss war sie ja vollkommen blind.«
    »Vom Nebelsturm?«
    »Vielleicht … zumindest konnte sie mehrere Tage lang die Augen nicht öffnen. Der Nebelsturm hatte den Sand von den Wiesen mit Schnee vermischt und ihr ins Gesicht geschleudert … es war, als hätte ihr jemand Nadeln in die Augen gestochen.«
    Mirja trat einen Schritt zurück.
    »Die Leute wollen diese düsteren Gemälde nicht haben. Die Menschen auf Öland wollen blauen Himmel, glitzerndes Meer und weite, gelbe Felder mit Blumen, sonst nichts. Helle, lichte Gemälde in weißen Rahmen.«
    »Du meinst solche Bilder, wie du sie malst?«, hakte Joakim ironisch nach.
    »Ganz genau.« Mirja nickte energisch und schien nicht im Geringsten irritiert. »Sonnige Sommerbilder für Sommergäste.« Sie sah

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