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Nebelsturm

Nebelsturm

Titel: Nebelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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eingeritzt. Viele standen da schon, als ich noch jung war. Aber diese dort sind neu.«
    Sie deutete auf zwei Namen, die ziemlich weit unten angebracht waren: CIKI war an einer Stelle zu lesen, SLAVKO an einer anderen.
    »Das könnten Flüchtlinge sein«, schlug Joakim vor. »Åludden wurde vor ein paar Jahren eine Zeit lang als eine Art Zwischenlager genutzt.« Fragend sah er seine Schwiegermutter an. »Aber warum haben die Menschen das getan, die Namen der Toten eingeritzt?«
    »Tja.« Mirja zuckte mit den Schultern. »Warum stellen Menschen Grabsteine auf?«
    Joakim musste an den Granitblock denken, den er erst letzte Woche für Katrines Grab ausgesucht hatte. Der Stein würde noch vor Weihnachten fertig sein, hatte der Steinmetz versprochen.
    »Um … um die Toten nicht zu vergessen.«
    »Ganz genau«, nickte Mirja.
    »Hast du Katrine auch von dieser Wand erzählt?«
    »Klar, schon im Sommer. Sie klang sehr interessiert, aber ich weiß nicht, ob sie hier oben war.«
    »Doch, ich glaube, sie war hier.«
    Mirja ließ ihren Finger über die eingeritzten Buchstaben im Holz gleiten.
    »Seit ich mit zwanzig diese Wand entdeckte, habe ich sie immer wieder angesehen und die Namen gelesen«, erzählte sie. »Dann habe ich mir überlegt, wer diese Menschen waren, warum sie auf Åludden gelebt haben und warum sie starben … es ist schwer, die Toten zu vergessen, nicht wahr?«
    Joakim hatte den Blick auf die Wand geheftet und nickte.
    »Und ich habe sie gehört«, fügte Mirja hinzu.
    »Wen?«
    »Die Toten.« Mirja beugte sich vor. »Wenn man genau hinhört, kann man sie flüstern hören.«
    Joakim hielt die Luft an und lauschte, hörte aber nichts.
    »Ich habe diesen Sommer ein Buch über Åludden geschrieben«, erzählte Mirja, als sie sich auf den Rückweg machten.
    »Ach ja?«
    »Ich habe es Katrine gegeben, als sie hier einzog.«
    »Tatsächlich? Das hat sie mir gar nicht erzählt.«
    Abrupt blieb Mirja stehen und schien auf dem Fußboden nach etwas zu suchen. Sie schob eine kaputte Holzkiste beiseite.
    Unter der Kiste kamen zwei Namen zum Vorschein, dicht nebeneinander, und dahinter stand eine Jahreszahl.
    MIRJA & MARKUS 1961.
    »Mirja …« Joakim hatte sich hingekniet und las laut, dann hob er den Kopf. »Hast du das hier eingeritzt?«
    Sie nickte.
    »Wir wollten unsere Namen nicht zu den Toten an die Wand schreiben, deshalb haben wir sie in den Boden geritzt.«
    »Wer ist denn dieser Markus?«
    »Das war mein Freund. Markus Landkvist.«
    Mirja verstummte. Sie seufzte kurz, machte einen großen Schritt über die zwei Namen hinweg und kletterte dann die Treppe vom Dachboden hinunter.
    Sie verabschiedeten sich auf dem Vorplatz. Mirjas Energie schien wie weggeblasen. Sie warf einen letzten langen Blick auf den Hof.
    »Vielleicht komme ich ja wieder«, sagte sie.
    »Tu das, gerne«, lud Joakim sie ein.
    »Und du musst mich, wie schon gesagt, bitte sehr mit den Kindern in Kalmar besuchen. Ich lade euch auf ein Glas Saft ein.«
    »Prima … und wenn sich der Kater hier nicht wohlfühlt, bringe ich ihn mit.«
    Mirja schnaubte verächtlich.
    »Wage es bloß nicht!«
    Nachdem Mirja verschwunden war, ging Joakim langsam über den Innenhof zurück ins Haus. Er sah hinunter zum Meer – wo der Kater sich wohl herumtrieb?
    Das Scheunentor stand noch offen, sie hatten vergessen, es richtig zuzuschieben.
    Magisch fühlte sich Joakim von der Scheune angezogen und stand schließlich wieder im Dunkeln. Es herrschte eine Stille wie in einer Kathedrale.
    Ein zweites Mal kletterte er die Treppe hinauf und stellte sich vor die Wand mit den Namen. Er las sie alle, einen nach dem anderen.
    Er legte sein Ohr an die Wand, hörte aber kein Flüstern.
    Dann nahm er einen Nagel, der auf dem Boden lag, und ritzte sorgsam einen Namen ins Holz: KATRINE WESTIN, dazu die Jahreszahl. Als er fertig war, trat er einen Schritt zurück und betrachtete noch einmal die ganze Wand.
    Jetzt gab es einen Ort für die Erinnerung an Katrine. Das fühlte sich gut an.
    Selbstverständlich liebten die Kinder Rasputin. Gabriel streichelte ihn ausgiebig, und Livia gab ihm Milch in einer kleinen Schale. Sie wollten sich keine einzige Minute von dem Kater trennen, aber am Abend nach Mirjas Besuch war die Familie bei den Nachbarn zum Essen eingeladen – ohne Katze. Die älteren Kinder waren nicht zu Hause, aber der siebenjährige Andreas saß mit am Tisch. Nach dem Abendbrot gingen er und die Geschwister Westin in die Küche, um Eis zu essen.
    Joakim blieb

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