Nebeltod auf Norderney
geklebt. Es war von der Straße gut sichtbar und rief ein Schmunzeln der Betrachter hervor.
Die Bewohner der »Hött« waren stolz auf Carmens Leistung und betrachteten sie als eine der Ihrigen. Carmen hatte ein Herz für die Gestrauchelten. Auch Albert Spatfeld zeigte keine Allüren.
Kurz nach den offiziellen Feierlichkeiten gaben Dr. Angeniess und seine Lebensgefährtin zu Ehren von Carmen in ihrer Wohnung ein Fest, zu dem sie ihre Nachbarn eingeladen hatten. Sie hatten die Wohnung so weit ausgefegt, und nur die Müllsäcke standen noch in der Ecke. Ein paar alte Sessel und Stühle umstanden zwei einfache Tische.
An diesem Abend hatte Dr. Xaver Angeniess die Wände geschmückt und auf die vergilbte Tapete seine Urkunden aufgeklebt, die ihn als Arzt auswiesen. Seine Lebensgefährtin trug ein langes Kleid. Sie hatte sich die Haare schwarz gefärbt. Sie war vollschlank, hatte ein aufgedunsenes Gesicht, das Spuren einstiger Schönheit aufwies.
Die Bewohner der »Hött« wussten über sie zu berichten, dasssie als Deutschpolin von Kriminellen gezwungen worden war, in Frankfurt auf den Strich zu gehen, und bei einem Streit ihren Zuhälter erstochen hatte. Nach fünf Jahren in der Vollzugsanstalt Niederbreisig hatte sie versucht, wieder Fuß zu fassen und Dr. Xaver Angeniess kennen gelernt.
Der Arzt trug eine Jeans, ein buntes Flanellhemd und eine Nappalederweste. Sein graues Haar war halblang und in einer Pagenfrisur geschnitten. Sein Gesicht war knochig. Er hatte eine südländisch gefärbte Haut. Er war äußerst schlank und mittelgroß. Er wirkte ungepflegt und verlebt. Das traf selbstverständlich auch auf seine Mitbewohner zu.
Ein angenehmer Geruch zog durch das Haus. Die Polin stand in der Küche am Herd. Sie hatte einen großen Topf voll Gulaschsuppe gekocht und gab sie mit einer Schöpfkelle in die Teller, die Carmen ihr reichte. Sie stellte die Teller auf ein Tablett, das Albert an den Tisch trug.
Die Unterhaltung war witzig und niveaulos. Das anzügliche Gerede, über das die Frauen herzhaft lachten, stieß Carmen und Albert ab. Sie setzten sich mit der Polin an die zusammengerückten Tische zu Dr. Xaver Angeniess und die übrigen Gäste und aßen die Suppe, die für eine gute Grundlage sorgte. Anschließend verteilte Dr. Angeniess die Gläser, während Carmen der Polin half, die Teller abzuräumen.
Albert trug die Flaschen an die Tische. Er hatte sie selbst beim Edekamarkt eingekauft und sich nicht lumpen lassen. Er baute die Flaschenbatterie auf. Es gab Cognac, Wacholder, Bommerlunder, Jägermeister und Aquavit, dazu standen noch drei Kästen Düssel Alt parat. Die Polin fügte noch ein paar Riesentüten Chips hinzu.
Die Flaschen wurden rund gereicht. Gastgeber und Gäste füllten die Gläser. Dr. Angeniess hielt eine kleine Ansprache, die er gelegentlich unterbrach, wenn ihm die Tränen kamen. Er nannte Feinde, die er hatte und die von den Anwesenden niemand kannte. Er lallte, und seine Sprache kam schleppend über seine Lippen. Seine Freunde und die Frauen prosteten ihm zu. Carmen und Albert hoben ebenfalls ihre Gläser. Nach einigen Hochrufen wurdees laut. Man hatte sich viel zu erzählen und vergaß nicht, zuzulangen.
Irgendjemand spielte auf einer Mundharmonika »Wir lieben die Stürme …« und alle sangen mit. Albert Spatfeld bot Zigaretten an, die reißend Absatz fanden. Die Selbstdreher sparten ihren Tabak.
Carmen saß neben ihrem Vater, der, wie schon so oft, ihr mit glühenden Augen und lachendem Mund zwischen Liederfetzen klarzumachen versuchte, dass »… morgen Schl-Schl-Schluss mi-mit dem Al-Al-Alkohol ist.«
Trotz der ausgelassenen Stimmung ging es sittsam zu. Sie lachten viel über Scherze, mit denen sie ihrer Wirklichkeit zu Leibe rückten.
Gegen Mitternacht machten die Ersten schlapp. Sie torkelten durch das Treppenhaus und sangen vor sich hin. Die polnische Lebensgefährtin tanzte mit einem Riesenteddybär durch das Zimmer, und Carmen blieb in ihrer Nähe, um zu verhindern, dass sie zu einem Striptease ansetzte.
Auch Albert hatte die Aufgabe übernommen, die angetrunkenen Gäste im Auge zu behalten. Zu ihnen zählte auch Dr. Xaver Angeniess, der auf seinem Platz saß und vor sich hin brabbelte und zwischendurch laut lachte.
Nach Mitternacht begleitete Albert Spatfeld ein volltrunkenes Ehepaar nach Hause in die Nachbarschaft und bugsierte es dort in ihr Schlafzimmer. Er torkelte selbst ein wenig, denn es war nicht ausgeblieben, dass auch er wegen des gelungenen Abends einige
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