Nebeltod auf Norderney
hoffte, dass es Jesko war. Er war natürlich nicht am Telefon, dennoch glitt ein dankbares Lächeln über ihre Lippen, als sie die Stimme von Albert Spatfeld vernahm.
»Frau Calvis, es ist furchtbar«, sagte er. »Ihr Mann fuhr an der Brücke über das Flussbett gegen einen Pfeiler. In der Dämmerung lief ein Tier über die Fahrbahn und irritierte ihn. Er war sofort tot.«
Heide weinte laut. Sie war nicht fähig zu antworten.
»Hören Sie?«, meldete er sich wieder.
»Der Wirt rief bereits an«, sagte sie. »Kevin schläft. Wo sind Sie?«
»Auf dem Revier der Polizei in Nerja. Die Beamten wollen Sie noch sprechen. Ich komme mit ihnen.«
Heide Calvis legte den Hörer auf. Der nette Maler holte Kevin noch ab. Sie war nicht allein, wenn die Beamten kamen, um mit ihr zu sprechen. Überhaupt würde Herr Spatfeld ihr gewiss auch während der schlimmsten Stunden ihres Lebens beistehen.
Und in der Tat. Albert Spatfeld erwies sich als eine tatkräftige Stütze. Er begleitete den Beamten, der deutsch sprach, und seinen Kollegen. Frau Calvis führte sie in das Wohnzimmer, bat sie, auf den Stühlen am Tisch Platz zu nehmen, während Albert Spatfeld sich um seinen Sohn kümmerte, der aus seinem Schlaf erwachte.
Die Nachricht vom Tode ihres Mannes hatte Heide Calvis schwer mitgenommen. Mit verheultem Gesicht bot sie alle Kräfte auf, mit den Polizisten zu reden. Sie sprachen ihr Beileid aus und ließen sich von ihr bestätigen, was Albert Spatfeld ihnen bereits mitgeteilt hatte. Sie hatten zu Protokoll genommen, dass ihr Mann sich alkoholisiert hinter das Steuer gesetzt hatte. Ursache des Unfalls war nach Aussagen des Beifahrers ein Tier gewesen, das in der Dämmerung über den Weg gelaufen war und ihren Mann erschreckt hatte. Seine Leiche würde im Krankenhaus einer genaueren Untersuchung unterzogen werden. Erst danach stünde es ihr frei, die sterblichen Überreste nach Deutschland überführen zu lassen. Auch das Auto musste noch bei ihnen hier in Nerja nach Mängeln überprüft werden. Danach könnte sie einer Werkstatt einen entsprechenden Reparaturauftrag erteilen. Soweit an der Brücke Schaden entstanden sei, würde ihr darüber eine Rechnung zugestellt.
Die Beamten gaben sich taktvoll, und als sie sich verabschiedeten, war es bereits kurz nach Mitternacht.
Kevin verhielt sich ruhig. Er quengelte nicht. Er schaute zu, wie Tante Heide ihre Arme um die Schultern seines Vaters legte und sich an seiner Brust ausweinte. Der Vater strich ihr über das Haar.
Kevin hatte begriffen. Onkel Jesko lebte nicht mehr.
»Bestellen Sie uns ein Taxi. Morgen früh schaue ich rein«, sagte Albert und setzte sich zu Kevin.
Heide Calvis ging zum Arbeitszimmer und wählte die Nummer eines Taxiunternehmens. Kurze Zeit danach vernahmen sie bereits das Klingeln.
Albert Spatfeld reichte ihr die Hand. Sie drückte Kevin an sich und brachte ihn nach draußen.
Das Taxi wartete vor der Tür. Sie stiegen ein und ließen sich nach Hause fahren.
Am Morgen schien die Sonne. Heide Calvis hörte die Wohnungsklingel und öffnete die Tür. Albert Spatfeld stand davor.
»Guten Morgen, Herr Spatfeld«, sagte sie und drückte ihre Freude darüber aus, dass er da war. »Die Nacht war sehr lang.« Sie gab ihm die Hand.
»Frau Calvis, es tut mir unendlich leid«, sagte er und drückt sie an sich. Sie sah hervorragend aus. Das blonde Haar und der blasse Teint bildeten einen Kontrast zu ihrer schwarzen Satinbluse, die ihren gut geformten Busen voll zu Geltung brachte. Sie trug eine tiefblaue Leinenhose und schwarze, halbhohe Pumps.
»Wo ist Kevin?«, fragte sie.
»Ich habe ihn zu den Großeltern von Bärbel gebracht«, antwortete er.
»Ich muss ihn aber noch sehen, bevor ich nach Hause fliege«, sagte sie.
»Das lässt sich machen«, antwortete er. »Wir besuchen Sie nach unserem Urlaub in Ostfriesland. Aber vorher haben Sie sicher noch eine Menge zu erledigen. Wenn Sie wollen, werde ich Ihnen gern dabei helfen.«
»Kommen Sie mit ins Arbeitszimmer«, sagte sie und ging voraus.Sie nahm am Schreibtisch Platz. Sie schloss die Schublade auf und zog sie hervor.
»Mein Mann hat hier eine Liste«, antwortete sie und reichte sie ihm. Sie schob ihm das Telefon zu. »Ich kann jetzt nicht telefonieren. Bitte tun Sie das für mich.«
Er rief die verschiedenen Nummern an und gab die traurige Nachricht durch, als sei er ein Verwandter. Sein Anruf verbreitete Entsetzen. Jesko Calvis war bei seinen Angestellten und Arbeitern beliebt gewesen. Er hatte nie
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