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Nebenwirkungen (German Edition)

Nebenwirkungen (German Edition)

Titel: Nebenwirkungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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romantischer vorgestellt«, gestand Paul mit schiefem Grinsen. »Ich hoffe nur, dass wir nicht vom Regen in die Traufe geraten. In Heidelberg scheint der Teufel los zu sein.« Seit mehr als vierundzwanzig Stunden herrschte Funkstille, hatten sie nichts mehr über Heikes Zustand erfahren, und ihre Assistentin blieb unerreichbar.
    »Du hast Nerven. Was hier im Grenzgebiet abgeht ist noch um einiges schlimmer, denke ich. Diese neue Krankheit wütet wie die Pest. Dagegen ist die Malaria geradezu harmlos. Ich will nur noch weg hier, das kannst du mir glauben.« Paul nickte nur wortlos. Er wollte sie nicht weiter reizen, obwohl er sich seine Sorgen liebend gern von der Seele geredet hätte. Er wusste nicht, wie gut Katie über den Rest der Welt informiert war, da sie in den letzten Tagen nur wenig miteinander gesprochen hatten. Die Hinweise auf eine Verbreitung der unheimlichen Krankheit auch in Europa häuften sich in den Zeitungen, und das beunruhigte ihn weit mehr, so sehr ihm die Lage hier an die Nieren ging. Um nicht zu verzweifeln musste er sich immer wieder einreden, dass dies nichts weiter als eine unglückliche zeitliche Koinzidenz mit ihrer Arbeit war. Die Zweifel aber wollten nicht weichen und nagten weiter an seinem Selbstbewusstsein und Gewissen. Er sehnte sich nach einem ernsthaften Gespräch wie ein Verdurstender nach einem Tropfen Wasser.
    Sie waren bereit, Abschied zu nehmen. Trotz aller Erleichterung verspürten beide eine unerwartete Wehmut und plötzliche Leere, als sie in ihrem Jeep nordwärts gegen Nyacks Dorf fuhren. Sie hatten dort etwas Wichtiges zu erledigen. Nils, der sich kurz und trocken verabschiedet hatte, würde das Material direkt zum Flughafen transportieren.
    »Wie geht es dir und deinem Löwen?«, fragte Paul und zwang sich zu lächeln.
    »Traurig. Ich bin traurig. Nicht mehr Assistant, nicht mehr gute Schule«, antwortete Nyack mit einem Gesicht, als wollte er nächstens in Tränen ausbrechen. Katie musste kurz wegschauen, um nicht angesteckt zu werden. Der Abschied schien dem Jungen ebenso schwer zu fallen, wie den beiden Forschern.
    »Du warst ein ausgezeichneter Schüler, Nyack«, sagte Katie, die am liebsten losgeheult hätte. »Jedenfalls kannst du schon gut lesen. Ich hätte dir gerne noch mehr beigebracht, aber wir müssen wieder zurück. Unsere Arbeit hier ist beendet.« Sie umarmte den Kleinen und flüsterte mit feuchten Augen: »Du wirst mir fehlen.« Sie und Paul hatten beschlossen, eine Art Patenschaft für Nyack und sein Dorf zu übernehmen und hatten gleich einen ersten, bescheidenen Geldbetrag zusammengelegt, den sie der protestierenden Mrs. Umangua in die Hand drückten. Sie würden mehr Geld sammeln und dafür sorgen, dass die Kinder in diesem Dorf wieder in die Schule gehen könnten, wie sich das gehörte. Ihr kleines privates Projekt machte ihnen den Abschied von diesen einfachen, armen, aber umso großzügigeren Leuten etwas leichter. Die Gewissheit, das harte Leben hier konkret und nachhaltig ein wenig zu verbessern, linderte zumindest das Gefühl der Ohnmacht, das sie beide seit den schrecklichen Erlebnissen im sterbenden Dorf nie mehr losgelassen hatte. Eines Tages würde Nyack vielleicht sogar seinen großen Traum vom berühmten Naturforscher verwirklichen. Auf der Fahrt zum Flughafen saßen sie schweigend nebeneinander, jeder auf seine Art betrübt, traurig, befreit und erleichtert zugleich. Keiner blickte zurück.
    Der große Geländewagen stand immer noch vor dem blauen Haus der alten Mine, als Paul und Katie Nyacks Dorf längst wieder verlassen hatten. Nils nahm sich Zeit, seine letzte Aufgabe gründlich zu erledigen, denn der Befehl aus Paris war eindeutig, ließ keine Fragen offen. Er machte die Runde durch alle Gebäude mit den Benzinkanistern, deponierte und verkabelte die unscheinbaren, hochexplosiven Sprengladungen, manövrierte den Wagen in sichere Entfernung und klemmte die Drähte am Zündgerät fest. Ohne zu zögern drehte er den Schalter. Blitz und Donner brachen über die Geistersiedlung herein, und nach wenigen Minuten blieb von der alten Mine nur noch ein Haufen schwarzer Skelette, von denen hässliche, dicke Rauchsäulen in den wolkenlosen Mittagshimmel stiegen. Operation Clean Sweep war erfolgreich beendet. Fast beendet , dachte Nils. Der Junge musste noch ein wenig warten.
London, Hanover Gate
     
    Vorsichtig streckte der Captain seinen Kopf mit dem löchrigen Schlapphut und dem spitzen, grauen Bart hinter dem dicken Stamm des Kastanienbaums

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