Nebenwirkungen (German Edition)
beeindruckt zu sein.
»Das Essen hier ist wirklich lecker, doch man muss sich selbst bedienen. Kommen Sie, wir schauen uns das ›Bunte Buffet‹ genauer an. Die Zeiten haben sich geändert , dachte Kyle beinahe wehmütig, als er die Auslage betrachtete. Keine Spur von Einheitsbrei, sondern eine große Auswahl knackiger Salate, Gemüse, das man noch mühelos seinem botanischen Ursprung zuordnen konnte, alle Arten von Teigwaren, Fleischgerichte und frischer Fisch. Sie setzten sich an einen der schlichten, langen Eichentische. Die jungen Leute, die bereits am Tisch saßen, rückten rasch zur Seite und machten Heike und ihrem Begleiter respektvoll Platz. Einige schienen Frau Professor Wolff zu kennen. Ihre elegante Erscheinung und die rot schimmernde Haarpracht waren auch kaum zu übersehen.
»Nun, schmeckt's?« Eine rhetorische Frage, denn Kyle hatte schon die Hälfte seines Zanderfilets mit offensichtlichem Genuss verspeist.
»Ausgezeichnet. Diese Mensa ist ein Juwel.« Heike nickte lächelnd und widmete sich wieder ihrem gehaltvollen Cordon-bleu. Sie genoss diese kurze Auszeit, doch der Gedanke an ihr letztes noch ungelöstes Problem hatte sie noch nicht losgelassen. Ihr Modell hatte noch keine schlüssige Erklärung für den Zusammenhang zwischen der Zeitprogrammierung und der Stabilität des synthetischen Gens zur Malariabekämpfung. Dieses hartnäckige Problem störte die Idylle.
»Wie bitte? Entschuldigen Sie«, sagte sie eilig, als sie bemerkte, dass Kyle sie fragend ansah.
»Ich sagte, die ganze Einrichtung hier sei ein Gesamtkunstwerk, mehr als die Summe der einzelnen Teile. Man muss es in der Totale betrachten, sozusagen mit dem Weitwinkelobjektiv.« Heike starrte ihn fassungslos an, dann rief sie hörbar erleichtert:
»Das ist es!« Sie beugte sich über den Tisch, legte die Hände auf seine Arme, schaute dem überrumpelten Kyle tief in die Augen und hauchte mit betörend sinnlicher Stimme: »Sie sind mein Retter, danke.« Die Tischnachbarn hingen an ihren Lippen, als hätte Heike in ihr Ohr geflüstert. Ein bereits etwas älteres Semester am Nebentisch stieß seine Begleitung in die Seite und deutete mit dem Kinn in Heikes Richtung.
»Die Wolff, hast du die Wolff gesehen?«, zischte er durch die Zähne.
Heike kümmerte sich nicht um den kleinen Aufruhr, den sie verursacht hatte und hielt Kyles Arme immer noch fest, als dieser endlich seine Sprache wieder fand.
»Was habe ich getan?«, fragte er verlegen. Sie erklärte ihm, worüber sie die ganze Zeit nachgegrübelt hatte.
»Die Totale. Das ist die Lösung. Ich habe mich allzu sehr auf die einzelnen Teilprobleme konzentriert. Jetzt bin ich überzeugt, dass ich auch dieses letzte Problem in den Griff kriege, wenn ich, wie Sie sagen, das Weitwinkelobjektiv benutze, den größeren Zusammenhang betrachte. Sie glauben gar nicht, wie erleichtert ich bin.«
Kyle verstand nicht wirklich, wovon sie sprach, doch was kümmerte ihn das nun, da er sie offenbar glücklich gemacht hatte. Einige vielsagende Blicke folgten ihnen, als sie die Mensa verließen. Heike deutete auf den Aushang neben der Tür.
»Schade, die heutige Veranstaltung ist wohl nichts für Sie. Deutsche Stand-up Comedy.« Jeden Donnerstagabend fanden in der Mensa Aufführungen unterschiedlicher Art statt. Sie schätzte einige der jungen Jazzmusiker, die hier hin und wieder zu hören waren, doch deutsche Comedy konnte den englischen Ohren ihres Begleiters nicht zugemutet werden.
»Kommt mir nicht ungelegen«, antwortete Kyle. »Ein Spaziergang durch die kühle Nachtluft mit Heidelbergs schönster Professorin an der Seite reizt mich wesentlich mehr.« Sie lachte und hakte sich unbekümmert bei ihm unter.
»Also dann los.«
Willenlos ließ er sich von ihr durch die Gassen führen, bis sie vor den zwei Rundtürmen der Alten Brücke standen. Sie zog ihn weiter, bis sie in der Mitte der Brücke stehen blieb. Von hier aus hatte man das ganze Panorama der beleuchteten Altstadt vor Augen. Kyle hatte schon einmal hier gestanden, doch das war am frühen Morgen, als Nebelschwaden aus dem Fluss aufstiegen und das Schloss langsam aus seinem Schlaf zu erwachen schien. Nachts war dieser Ort eine völlig neue Erfahrung. Heike fröstelte.
»Ist Ihnen kalt?«, fragte Kyle überflüssigerweise, zog seine Jacke aus und legte sie ihr behutsam über die Schultern.
»Danke. Ein echter Gentleman«, spottete sie, doch sie war ihm dankbar, denn es war empfindlich kühl geworden. »Wir sollten an die Wärme.« Sie
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