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Nebenwirkungen (German Edition)

Nebenwirkungen (German Edition)

Titel: Nebenwirkungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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bist, kannst du dich ein wenig nützlich machen«, sagte der Matrose aufmunternd zu seiner neuen Begleiterin. »Mäuse und Ratten fangen. Wenigstens bis St. Thomas.« Die Karibikinsel St. Thomas war der nächste Hafen, den die African Queen II auf ihrer Fahrt in die USA anlaufen würde.
    Weder der Matrose, noch die Familie Hogan ahnten, dass sie ein von bloßem Auge nicht sichtbares, aber absolut tödliches Andenken aus Südafrika mitführten.
China, Hongkong
     
    Frau Li bewunderte die Kunstfertigkeit, mit der die beiden Männer die frischen Schlangen enthäuteten. Zwei präzise Schnitte, und sie konnten die sich aufrollende Haut wie Hobelspäne wegbürsten. Zartes Schlangenfleisch stand regelmäßig auf ihrem Speiseplan, doch heute hatte sie für den Geburtstag ihrer Jüngsten etwas Besonderes geplant. Sie zog ihre Tochter durch das Gewühl des morgendlichen Wanchai Straßenmarkts auf Hongkong Island, vorbei an Tischen, auf denen sich lebende Riesenkrabben stapelten, Seegurken wie Salamis angepriesen und Quallen zu delikaten Vermicelles verarbeitet wurden. Geschickt vermieden sie es, in die nach Fisch- und Fleischabfällen stinkenden Pfützen der mit blutigen Federn verstopften Abflüsse zu treten. Frau Li interessierte sich heute auch nicht für die Hühnerleber, die hier laufend dem frisch geschlachteten Federvieh entnommen und zusammen mit allen anderen Innereien, dem Blut, den Füßen, dem Kopf und dem Fleisch auf den Tischen ausgebreitet und zum Kauf angeboten wurden.
    Sie führte ihr Mädchen zu einem Händler, bei dem sie schon oft eingekauft hatte, dessen Ware sie wegen ihrer ausgezeichneten Qualität schätzte. Käfige jeder Größe standen um den kleinen Zinntisch herum, hinter dem das alte Männchen Frau Li und ihre Tochter freudig begrüßte. Eine Gans sollte es sein zur Feier des Tages, und die Kleine durfte sie auswählen.
    Der Alte packte das prächtige Tier, drückte den Hals der Gans mit geübtem Handgriff auf die Tischplatte und hackte ihr im gleichen Atemzug den Kopf ab. Er wusste, dass Frau Li den Rest der Arbeit zuhause selbst erledigen würde und begann, den geteilten Vogel einzupacken, als das Mädchen plötzlich aufschrie. Seine Mutter war inmitten des emsigen Treibens tonlos zusammengebrochen und lag nun vor der Schlachtbank des Geflügelhändlers zuckend im Schmutz. Sie versuchte verzweifelt, wieder aufzustehen, doch ihre Beine wollten sie nicht mehr tragen, und sie rollte unkontrolliert mit den Armen um sich schlagend von einer Seite auf die andere. Die Leute wichen hastig zur Seite und starrten mit weit aufgerissenen Augen auf die zuckende Frau zu ihren Füßen. Das Mädchen schrie und schluchzte und kniete sich neben seine Mutter, versuchte sie zu umarmen, zu beruhigen, doch Frau Li hatte ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle. In höchster Not zog die Kleine das Amulett hervor, das sie seit kurzem an einem Kettchen um ihren Hals trug, küsste es und zeigte es seiner Mutter.
    »Das hilft dir. Du wirst bestimmt wieder gesund«, schluchzte sie und hielt das Schmuckstück fest umklammert. Erst vor ein paar Tagen hatten ihr die Eltern den kleinen Glücksbringer in den Ferien in Südafrika gekauft. Doch diesmal sollte sie das Amulett im Stich lassen. Frau Li verschied schon am nächsten Tag an ihrer unerklärlichen Krankheit.
Holland, Den Helder
     
    Für die Kassiererin und drei ihrer Kundinnen war es schon zu spät, als sie den Knall hörten. Der zweieinhalb Tonnen schwere Toyota Sequoia krachte frontal durch die Scheibe des kleinen Supermarktes, begrub die Frau an der Kasse unter sich, stieß der Kundin, die sie eben bedient hatte, die Trümmer der zersplitternden Theke in den Unterleib und rammte den zwei Frauen hinter ihr das eiserne Gestell mit den Sonderangeboten so heftig in die Seite, dass sie gegen die Wand und zu Boden geschleudert wurden, wo sie stöhnend liegen blieben. In diesen zwei Sekunden starben drei Menschen, die Kassiererin, ihre Kundin und der Wagenlenker, und zwei weitere Frauen wurden verletzt, eine davon schwer.
    Als erste traf die Polizei am Unfallort ein, gefolgt von der Feuerwehr und dem Krankenwagen. Die vor Schreck erstarrten übrigen Kunden wurden behutsam aus dem Laden geleitet und einer Betreuerin übergeben. Die Rettungsmannschaft stellte schnell fest, dass sie weitere Unterstützung brauchte und forderte zwei weitere Krankenwagen und Ärzte an, um die Verletzten und Toten zu bergen. Der Patrouillenoffizier glaubte nicht an einen gewöhnlichen Unfall, denn

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