Nebenwirkungen (German Edition)
diesem Augenblick ertönte die schrille Sirene des Feueralarms im ganzen Gebäude.
»Ach du grüne Neune! Die sollten diese Übungen an Sonntagen veranstalten. Würde weniger Leute stören«, seufzte sie. Diese verflixten Evakuationsübungen fanden in unregelmäßigen Abständen statt, mindestens einmal jährlich, und Samantha konnte sich nicht erinnern, jemals eine davon verpasst zu haben. Sie glaubte nicht an einen Ernstfall, aber es half nichts. Sie mussten alles stehen und liegen lassen und so schnell wie möglich zu Fuß die zweiundzwanzig Stockwerke zum Sammelplatz am Dock hinunter steigen. Dreihundertzweiundfünfzig Stufen, wenn sie sich richtig erinnerte. Als sie mit Robert und ihren schimpfenden Mitarbeitern zum Treppenhaus eilte, kamen ihnen bereits die ersten Feuerwehrleute in voller Ausrüstung entgegen.
»Die nehmen es diesmal aber ganz genau«, wunderte sie sich. »Normalerweise kontrolliert niemand, ob alle das Haus verlassen haben, seltsam.« Sie ahnte nicht, wie berechtigt ihr Argwohn war, denn dies hier war keine gewöhnliche Übung, und die eifrigen Feuerwehrleute gehörten nicht zur riesigen Organisation der LFB, der London Fire Brigade. Sie verstanden nichts von Brandbekämpfung, dafür umso mehr von Nahkampf und verdeckten Einsätzen. Systematisch begannen die fünf Männer, die herumliegenden Dokumente und Notizen einzusammeln und in die mitgebrachten Kisten zu verstauen, während die einzige Frau, die sie begleitete, sich an verschiedenen Computern auf den Schreibtischen zu schaffen machte. Sie hatte leichtes Spiel, denn die meisten Benutzer hatten ihre Arbeitsstationen verlassen ohne sich auszuloggen.
Es dauerte nicht einmal zehn Minuten, bis sie den Trojaner im Netz der Life!-Redaktion eingeschleust hatte. Der Softwareschädling würde von nun an schnell und zuverlässig alle Dateien vernichten, die irgend etwas mit BiosynQ, Heidelberg, Malaria, Aids, Marchand und einigen weiteren Stichwörtern zu tun hatten. Der falsche Alarm hatte die Tore weit geöffnet für diesen fatalen Angriff hinter der Firewall, auf welche die IT-Spezialisten von Life! so stolz waren. Nach zwanzig Minuten war der Spuk vorbei, die kleine Truppe hinterließ eine real und virtuell verwüstete Redaktion, und die inzwischen misstrauisch gewordenen Leute des Sicherheitsdienstes im Erdgeschoss des Presseturms wunderten sich, dass die Feuerwehr plötzlich wie vom Erdboden verschwunden war. Erst am Abend des nächsten Tages sollten der Putzmannschaft die sechs Overalls und billigen Plastikhelme auffallen, die jemand achtlos in eine ihrer Materialkammern geworfen hatte.
Als Samantha mit ihren Leuten die Redaktion wieder betrat, fiel sie wortlos in den nächst besten Sessel und schnappte nach Luft. Ungläubig betrachtete sie das Chaos, dann warf sie Robert ihre fragenden Blicke zu, als wüsste er die Antwort. Ihre Mitarbeiter suchten verzweifelt nach den Dossiers, die sie vor einer halben Stunde noch bearbeitet hatten, nach Photos und elektronischen Aufzeichnungsgeräten, versuchten wieder etwas Ordnung in ihre kleine Arbeitswelt zu bringen. An der rasch improvisierten Krisensitzung wurde jedoch bald allen klar, dass der Schaden weit größer war, als sie im ersten Augenblick angenommen hatten. Selbst viele ihrer Dateien auf den Redaktionsservern waren verschwunden und mussten erst mühsam aus den Archiven wieder geladen werden, sofern sie überhaupt dort gespeichert waren. Die laufenden Arbeiten an den aktuellen Artikeln und Berichten mussten weitgehend eingestellt werden, und vieles würde sich auch mit großem Aufwand nicht mehr rekonstruieren lassen.
»BiosynQ. Ich wette, die stecken dahinter«, brummte Robert, während er Samantha half, die am Boden verstreuten Ordner einzusammeln. »Die müssen eine gewaltige Angst vor Ihren Enthüllungen haben.« Samantha schreckte aus ihrer Grübelei auf und murmelte zerknirscht:
»Was - ja, klar. Nur schade, dass man denen nichts nachweisen kann. Seit ...« Das Klingeln des Telefons unterbrach sie. Ihre Mutter war am Apparat.
»Mom, was ist los? Seid ihr nicht auf See?«, fragte sie erstaunt.
»Sind wir. Ist schon ein Segen, diese moderne Technik, nicht wahr? Verstehst du mich gut?«
»Als wärst du hier«, brummte Samantha Augen rollend. Sie war ganz und gar nicht in der Stimmung, sich jetzt einen Vortrag ihrer Mutter anzuhören. »Hör mal, es tut mir leid, aber ich habe im Augenblick wirklich keine Zeit. Wir haben einige Probleme in der Redaktion.« Doch wie immer war ihr
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