Nebenwirkungen
ginge mal eben eine Zeitung kaufen. Dann spurtete ich die sieben Querstraßen zu Tiffany hoch, nahm den Fahrstuhl in ihre Etage, aber wie es das Pech wollte, blieb dieser infernalische Fahrstuhl stecken. Ich trottete wie ein eingesperrter Puma zwischen den Stockwerken herum, außerstande, meine glühenden Lüste zu stillen, ebenso außerstande aber auch, zu einer glaubhaften Zeit wieder zu Hause zu sein. Als ich endlich von zwei Feuerwehrmännern befreit wurde, saugte ich mir für Olive eine Geschichte aus den Fingern, in der ich selber, zwei Raubmörder und das Ungeheuer von Loch Ness vorkamen.
Zum Glück war das Schicksal auf meiner Seite, und sie schlief, als ich nach Hause kam. Der ihr angeborene Anstand ließ es Olive undenkbar erscheinen, daß ich sie mit einer anderen Frau betrügen könnte, und wie sich einerseits’ die Häufigkeit unserer körperlichen Beziehungen verringert hatte, so ging ich andererseits mit meiner Leistungskraft haushälterisch um, damit ich sie wenigstens teilweise befriedigen konnte. Beständig von Schuldgefühlen gequält, schob ich fadenscheinige Ausreden von Erschöpfung durch zu viel Arbeit vor, die sie mir mit dem Argwohn eines Engels abkaufte. Doch die ganze Plackerei forderte wahrlich ihren Tribut von mir, während die Monate vergingen. Denn ich glich langsam mehr und mehr der Gestalt aus Edward Munchs "Der Schrei".
Habe Mitleid mit einer Zwangslage, lieber Leser! Mit dieser Situation zum Verrücktwerden, mit der sich vielleicht recht viele meiner Zeitgenossen herumquälen müssen. Niemals alle Ansprüche, die man stellt, in einem einzigen Mitglied des anderen Geschlechts erfüllt zu finden! Auf der einen Seite der gähnende Abgrund des Kompromisses. Auf der anderen die nervenzerfetzende, verwerfliche Lüge aus Liebe. Hatten die Franzosen recht ? Bestand der Trick, eine Frau und eine Geliebte zu haben, darin, daß man die Verantwortung für verschiedene Bedürfnisse zwischen zwei Parteien aufteilte? Mir war klar, wenn ich Olive dieses Arrangement offen vorschlüge, dann stünden bei all ihrem Verständnis die Chancen nicht schlecht, daß ich mich auf ihren britischen Regenschirm gespießt wiederfände. Ich wurde lustlos und schwermütig und dachte an Selbstmord. Ich hielt mir eine Pistole an den Kopf, verlor aber im letzten Moment die Nerven und schoß in die Luft. Die Kugel ging durch die Decke, worauf Mrs. Fitelson in der Wohnung über uns geradewegs auf ihr Bücherbord hopste, wo sie die ganzen Großen Ferien über hocken blieb.
Eines Abends dann löste sich die ganze Geschichte. Plötzlich und mit einer Klarheit, die man normalerweise dem LSD zuschreibt, ging mir auf, was ich zu tun hatte. Ich war mit Olive ins Elgin zur Wiederaufführung eines Films mit Bela Lugosi gegangen. In der entscheidenden Szene tauschte Lugosi als wahnsinniger Wissenschaftler das Hirn irgendeines unglücklichen Opfers gegen das eines Gorillas aus, während beide auf Operationstische geschnallt waren und draußen ein Gewitter niederging. Wenn ein Drehbuchautor in der Welt der Phantasie sich so etwas ausdenken konnte, dann war im wirklichen Leben ein Chirurg mit meinen Fähigkeiten mit Sicherheit in der Lage, es ebenso zu tun.
Tja, lieber Leser, ich will dich nicht mit den Einzelheiten langweilen, die äußerst technisch und für ein Laiengemüt nicht leicht verständlich sind. Es genügt zu sagen, daß man in einer dunklen, stürmischen Nacht hätte eine schemenhafte Gestalt dabei beobachten können, wie sie zwei narkotisierte Frauen (eine davon mit einer Figur, die Männer ihre Wagen auf die Bürgersteige kutschen ließ) in einen unbenutzten Operationssaal des Flower Fifth Avenue schmuggelte. Während die Blitzespfeile zickzackig durch den Himmel knatterten, führte dort der Unbekannte eine Operation aus, die zuvor nur in der Welt der Zelluloidillusionen gemeistert worden war, und da auch nur von einem ungarischen Schauspieler, der eines Tages Draculas Knutschfleck zur Kunstform erheben sollte.
Das Resultat? Tiffany Schmiederer, deren Geist nun in dem weniger sensationellen Körper Olive Chomskys wohnte, fand sich zu ihrer Freude vom Fluch erlöst, ein Sexobjekt zu sein. Wie Darwin es uns gelehrt hat, brachte sie es bald zu großer Intelligenz, die zwar vielleicht nicht gerade der von Hannah Arendt entsprach, ihr aber erlaubte, den Schwachsinn der Astrologie zu durchschauen und glücklich zu heiraten. Olive Chomsky, plötzlich Besitzerin einer geradezu kosmischen Oberflächenbeschaffenheit, die
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