Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
obwohl das Wesen im Bottich gut zehnmal so groß war wie er. Andererseits waren seine Ansprüche um ein Vielfaches höher – denn es verlangte ihn nicht nur nach Tierblut ...
Nach einer Weile (erstaunlicherweise waren bereits Minuten vergangen, und der stete Strom war kaum mehr als ein schwaches, allmählich gerinnendes Rinnsal) zerrte B. J. den Kadaver des Kitzes beiseite, zog den Trichter heraus und trug ihn an eine Stelle, an der das Wasser senkrecht von oben herabstürzte und sich von Felsen zu Felsen in ungeahnte Tiefen ergoss. Dort wusch sie den Trichter aus, schlug ihn wieder in das Öltuch ein und brachte ihn in seine Nische hinter dem Bottich zurück.
Anschließend schnitt sie dem Kitz das Herz heraus, um es, blutig wie es war, mitzunehmen, und übergab den langsam erstarrenden Kadaver dem Wasserfall. Nun war es an der Zeit, Radu aufzusuchen.
Der Tag war ihr sehr kurz vorgekommen. Es lag an der Jahreszeit, außerdem hatte B. J. jede Menge zu tun gehabt. Draußen ging die Sonne unter, und es wurde bereits dunkel. Als B. J. zu dem Sarkophag zurückkehrte, passten sich ihre Augen ohne Weiteres der Düsternis des Höhlenkomplexes an. Mithilfe knochentrockenen Reisigs entzündete sie aus einem bereitstehenden Holzstapel ein Feuer und brachte an einem dreibeinigen eisernen Gestell Wasser zum Kochen, um Tee zu brauen. Mittlerweile war sie ebenfalls hungrig geworden, und zu guter Letzt gab sie ihren Bedürfnissen nach. Sie aß das Herz des Kitzes roh. Während sie auf dem Fleisch herumkaute, bildeten ihre Zähne rasiermesserscharfe Spitzen aus. Ihre eisenharten Kiefer erledigten den Rest. Es reichte kaum aus, sie zu sättigen, doch das dunkle Muskelfleisch stärkte sie, und B. J.s Organismus würde aus dem bisschen, das er bekommen hatte, das Beste machen. Sie hätte sich mehr von dem Kitz aufheben können, aber sie wollte sich ja nicht vollstopfen. Nein, schließlich musste sie nun aufpassen und durfte nicht der Müdigkeit nachgeben, die sich unweigerlich einstellen würde, wenn sie erst einmal ... ausgelaugt war.
Ausgelaugt, ganz recht, denn nur so wollte es ihr Gebieter. Wie oft hatte er ihr gesagt: »Unser eigen Fleisch und Blut muss uns immer am teuersten sein, da es ja auch das süßeste ist!« Was er damit meinte, hatte sie nie recht begriffen – es klang bestenfalls unheilvoll –, doch B. J. verstand es so, dass das Blut von Männern und Frauen, eben menschlichen Wesen, von Natur aus die Nahrung des Werwolfs war. Abgesehen von einer Handvoll Gelegenheiten, zu denen sie ein paar Knechte und Rekruten hierhergebracht hatte, war diese womöglich fragwürdige Aufgabe stets ihr zugefallen.
Ihr Mahl hatte sie gestärkt. Nun war es an der Zeit ...
Radus Trichter war aus weichem, gehämmertem Gold, lediglich die Spitze bestand aus Kupfer. B. J. entnahm das Gerät seinem Versteck und wischte es behutsam ab. Dann trug sie es an den Rand des Sarkophages und blickte auf ihren Gebieter hinab. »Ich bin bereit, mein Gebieter!«
Ich ebenfalls, Bonnie Jean! , erscholl prompt seine Stimme in ihrem Geist. Ich ebenfallsss, jaaa. Außerdem habe ich über das, was du mir berichtet hast, nachgedacht. Während du mir nun deine Aufwartung machst, werde ich dir sagen, was getan werden muss. Denn uns bleibt nicht mehr viel Zeit, und in meinen Träumen sehe ich eine merkwürdige Zukunft. Nichts darf bei meiner ... Auferstehung? ... dazwischenkommen. Und es muss alles getan werden, sie zu beschleunigen. Denn obgleich ich bis zu jenem Punkt zu »blicken« vermag, herrscht dahinter nur ein heilloses Durcheinander. Die Zukunft, ganz gleich ob von Mensch oder Kreatur, ist seit jeher ein unzuverlässiges Ding, Bonnie Jean. Und meine – und auch die deine – nicht weniger. Aber für dich sehe ich einen prächtigen Vollmond voraus – gewiss ein großartiges Omen! Ich selbst hingegen erstrahle hell wie ein Stern! Unsere Stellung am zukünftigen Firmament scheint gesichert. Doch wie dies zustande kommen soll, bleibt erst noch abzuwarten ...
Während er mit ihr »redete«, machte B. J. sich an die Arbeit. Mit dem Trichter durchstieß sie die Harzkruste von Radus Sarkophag und setzte ihr ganzes Gewicht ein, um ihn langsam, aber sicher immer tiefer in die nahezu erstarrte Masse zu treiben, bis eine in den goldenen Tubus geritzte Markierung ihr zeigte, dass sie aufhören musste. Nur ein kleines bisschen tiefer, und die messerscharfe, hohle Spitze würde Radu mitten ins Gesicht dringen.
Was nun diesen Späher angeht, fuhr er fort,
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