Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
steinernen Gesicht auf dem eisigen Hochplateau zukam und welche Rolle es wohl in seiner Zukunft spielen mochte. Eines schien jedenfalls gewiss: Brenda befand sich nicht dort. Er hatte ihre Anwesenheit nicht »gespürt«, und dies hätte ohnehin keinen Sinn ergeben. Nicht an einem derartigen Ort.
Vor allem aber fragte er sich, was es mit dem nächsten Ort auf sich hatte ...
... einem Garten in einem fruchtbaren Tal zwischen zerklüfteten, von Wind und Wetter gezeichneten Felsvorsprüngen, wo während der langen Stunden des Tages staubflirrende Sonnenstrahlen schräg zwischen den hohen Pässen einfielen und nachts die Sterne wie mit Raureif überzogene Juwelen glänzten oder vielmehr wie im geisterhaften Wabern der Auroren vom Himmel hängende Eissplitter ...
Ob Brenda sich dort befand?
Er brauchte nur an diesen Ort zu denken, und schon erschienen merkwürdige, geradezu unheimliche Koordinaten in seinem Geist, so fremdartig, dass er sich fragte, ob sie Wirklichkeit waren oder womöglich bloß seiner Fantasie entsprangen. Sie glichen nichts, was er je zuvor gesehen hatte. War es das: Wunschdenken? Hatte er einfach zu sehr von einem unerreichbaren Wolkenkuckucksheim geträumt? Von einem Ort hinter dem Regenbogen?
Nun, der Necroscope verfügte zwar nicht über Zauberpantoffeln, dafür jedoch über das Möbius-Kontinuum.
Endlich war das Zimmermädchen fertig. Sie nickte mehrmals, lächelte und verließ, etwas Unverständliches in gebrochenem Englisch murmelnd, rückwärts den Raum. Als sie weg war, wartete Harry nicht länger. Er beschwor ein Tor herauf. In der Ur-Finsternis des Möbius-Kontinuums stellte er sich die rätselhaften Symbole vor, jene merkwürdige Gleichung, die ihm den Weg zu seinem Ziel weisen sollte, und gelangte ... nirgendwohin.
Es war wohl doch ein Wunschtraum gewesen, eine vergebliche Hoffnung. Der Versuch mit den Koordinaten war fehlgeschlagen, weil auch sie nur ein Produkt seiner Fantasie waren und rein gar nichts zu bedeuten hatten.
Darin irrte er sich natürlich; andererseits hatte er vollkommen recht damit, dass er die Koordinaten für fremdartig hielt. Denn in einer Paralleldimension jenseits des bekannten Raumes hätten sie ihn ohne Weiteres direkt an sein gewünschtes Ziel gebracht. Die Koordinaten stimmten und waren völlig in Ordnung ... sie stammten lediglich nicht von dieser Welt.
Harry hatte genug herumexperimentiert. Keine weiteren Versuche mehr, das ersparte ihm nur Enttäuschungen. Im Augenblick war er, obwohl er sich zuvor ausgeruht hatte, nur müde. Sein Gefühlsleben war völlig durcheinander, ebenso sein Zeitgefühl, und die vielen Möbiussprünge und die Widersprüche im Raum-Zeit-Gefüge taten ein Übriges. Und heute Nacht musste er seine fünf Sinne beisammen haben und für die Aufgabe, die ihn erwartete, sowohl körperlich als auch geistig in Hochform sein. Der Necroscope hatte alle Informationen über die Manse Madonie, die er brauchte. Sein neues Wissen über deren Bewohner hatte sich gesetzt und ruhte nun fest verschlossen hinter einer posthypnotischen Sperre in seinem Geist. Dort würde es auch bleiben, ohne dass er sich daran erinnern konnte, so lange, bis irgendjemand – Bonnie Jean oder auch Radu Lykan – es wieder hervorholte. Und wenn er sich trotzdem Sorgen machte, so war dies angesichts seiner Mission nur verständlich. Damit jedenfalls beruhigte er sich.
Er schlief den Schlaf der Gerechten, zum ersten Mal seit Langem ungestört vom Geflüster der Toten in ihren Gräbern. Falls sie sich miteinander unterhielten, dann wohl nur heimlich. Aber schließlich war dies Sizilien ...
Als Harry gegen sechs Uhr abends wieder zu sich kam, wusste er im ersten Moment nicht, wo er war. Es war noch immer helllichter Tag und würde es für die nächsten zwei, drei Stunden auch bleiben.
Er duschte, um die Mattigkeit loszuwerden, aß im Hotelrestaurant lustlos zu Abend – ein »Irgendwas« Genovese – und kehrte sofort wieder in sein Zimmer zurück.
Der Necroscope war so weit fertig, jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit. Und nun wurde ihm auch klar, wie wenig er eigentlich über die Manse Madonie, ihre Bewohner und deren Beschäftigte wusste ... Er hatte zum Beispiel keine Ahnung, wie viele es waren oder welche Aufgaben sie hatten. Allerdings waren an einem derartigen Ort – im Grunde war es ja eine Festung – wohl kaum Sicherheitsvorkehrungen in Form von Wachtposten notwendig. Eine Nachtwache vielleicht, aber nur im Außenbereich. Doch selbst dann dürften in
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