Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
Kilian, in den Raum. Ebenso blond, ebenso engelsgleich und ebenso alt.
»Papa, Mama, wir haben einen Stern gefunden!«
»Einen Stern?«
»Der vom Himmel gefallen ist. Und jetzt ist er nur noch ein Stückchen Stein. Aber wir sind ganz sicher, weil der alte Meister doch hier auch mal einen gefunden hat, und der sieht genauso aus!«
Die Finger des Jungen bewegten sich beinahe schneller als sein Plappermäulchen, und Jan begutachtete den metallisch glänzenden Brocken in seiner schmuddeligen Hand.
Trine indessen war aufgestanden; lächelnd holte sie ein Kistchen vom Bord und trat zu Lauryn hin. Alyss übersetzte für die Jungfer, die etwas verdutzt dreinsah.
»Augen zu, Mund auf!«
Trine machte es vor und grinste dann nochmals auffordernd.
Lauryn gehorchte zögernd.
»Ganz zu, Lauryn!«, mahnte Alyss.
Endlich kniff die Jungfer die Augen ganz zusammen, und Trine legte ihr eine kandierte Kirsche auf die Zunge. Lauryn schloss den Mund, öffnete die Augen. Dann schloss sie sie wieder in vollkommener Verzückung.
»Ich auch, ich auch!«
Der Junge kniff ebenfalls die Augen zu und sperrte sein Mäulchen so weit auf, wie es nur ging.
Eine weitere Kirsche fand ihren Weg.
Alyss schloss die Lider und öffnete die Lippen.
Frucht und Süße füllten ihren Gaumen. Meister Krudener hatte seiner Frau das Mysterium vermacht, wie man Kirschen
kandierte, doch diese kostbaren Leckerbissen waren ganz seltenen Gelegenheiten vorbehalten.
Etwa Sternen, die vom Himmel fielen.
Als Alyss und Lauryn nach Hause kamen, grummelte Hilda, der Notarius sei wieder aufgetaucht und habe unbedingt auf sie warten wollen.
»Ich habe ihn in den Saal gesetzt, Frau Alyss. Ich hoffe, er richtet keinen Schaden an.«
»Dazu wird er nicht befugt sein«, murmelte Alyss. Dann wandte sie sich an Lauryn. »Fühlst du dich in der Lage, Magister Hermanus die Medizin zu verabreichen?«
Lauryn grinste.
»Bestimmt. Ich habe mir die Beschreibung, wie man die Mandeln herausschneidet, gut gemerkt, Frau Alyss.«
»Dann lauf und lehre ihn das Fürchten.«
»Und ich werde den armen Notarius ins Warme holen, Hilda. Wir werden uns hier in der Küche unterhalten.«
»Das ist aber nicht sehr vornehm.«
»Nein, aber gemütlich. Und ich habe kalte Füße.«
»Gut, dann gehe ich eben Wäsche sortieren. Morgen kommen die Waschfrauen.«
Ein kleines Unbehagen machte sich bei Alyss jedoch breit, als sie die Stiege nach oben ging. Was mochte der Notarius zu vermelden haben? Er hatte angekündigt, sich nach dem Fortgang der Ernte zu erkundigen. Hoffentlich hatte er nichts auszusetzen.
In seinen langen, dunkelgrauen Talar gehüllt, ein schwarzes Barett sehr gerade auf seinen struppigen grauen Haaren, saß der Rechtsgelehrte am Fenster und schaute hinaus.
»Verzeiht, Magister Jakob, dass Ihr warten musstet. Aber wir haben Kranke im Haus, und der Gang zur Apotheke war unausweichlich.«
»Kein Grund, sich zu entschuldigen, Frau Alyss«, sagte er in seiner gewohnt tonlosen Art und erhob sich.
»Wenn Ihr so gut sein wolltet, mir zu folgen, Magister Jakob. Mir ist vom Gang kalt, und ich möchte mich in der Küche am Herd wärmen.«
Er nickte und folgte ihr.
Ein kurzer Blick auf seine hageren Wangen brachte Alyss auf die Idee, dem Mann einen Imbiss anzubieten. Sie wies ihm einen Platz an dem langen Tisch nahe dem Herd an und machte sich daran, von dem frischen, noch warmen Brotlaib zwei Scheiben abzuschneiden, bestrich sie dick mit Schmalz, würfelte ein Stück Schinken und streute ihn darüber. Für sich und den Gast füllte sie dann je einen Becher mit Gewürzwein.
»Lasst es Euch schmecken, Magister Jakob.«
Umständlich zog der Notar seine Augengläser aus dem Beutel und starrte die Brotscheiben auf dem Holzbrett vor sich an.
»Dammich!«
Etwas gluckste in Alyss, und sie konnte diesen Laut in ihrer Kehle gerade noch abfangen.
»Und gebt mir Eure Brille, sie sieht schon wieder verschmiert aus.«
Wortlos reichte er ihr die Gläser, und während sie sie mit einem sauberen Leinentuch polierte, verspeiste ihr Gast mit sichtlichem Wohlbehagen die Brote.
Dann nippte er an dem Wein, und ein pergamentdünnes Lächeln erschien auf seinen Lippen.
»Ist dies der Wein, den Ihr aus Eurem Garten geerntet habt, Frau Alyss?«
»Aber nein, nein, Magister Jakob. Wir haben die Beeren geerntet, den Saft in Fässer gefüllt und die Gärung vorbereitet. Das dauert seine Zeit, zumal es inzwischen sehr kühl geworden ist.«
»Und was ist das, was Ihr mir eingeschenkt
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