Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
Arbo und seine Mutter waren zu Gast auf der Burg, und etwa eine Woche vor Erntedank fand der Ritter den Mann im Burggraben.«
»Wusste jemand, wie er dort hineingelangt war?«
»Nein. Man nimmt an, dass er es entweder geschafft hat, alleine bis dorthin zu kommen, und ihn dann die Kräfte verließen. Oder dass seine Begleiter ihn für tot liegen ließen. Offensichtlich nahm es niemand wunder, dass weder er noch seine Freunde in der Burg um Hilfe angesucht hatten.«
»Ein Umstand, der nicht für die Herrschaften dort spricht.«
»Oder dafür, dass sie wussten, wer er war, oder in diese Angelegenheit verstrickt waren. Was wiederum meinen Verdacht gegen Sir Arbo erhärtete. Versteht Ihr das, my Lady?«
»Es könnte auch sein, dass Arbo von Bachem wirklich ein sehr naiver Mann ist, während die anderen dort sehr wohl die fehlende Hand des Fremden zu deuten wussten und in ihm einen entflohenen Verbrecher vermuteten.«
»Auch das ist möglich. Unchristlich, ihn nicht aufzunehmen, aber verständlich.«
»Wohingegen der edle Arbo christlich handelte und ihn aufklaubte. Es war also noch Leben in Yskalt?«
»Ein Hauch, wenngleich die Wunde am Arm tatsächlich zu schwären begonnen hatte. Sir Arbo brachte ihn in die Burg, aber niemand dort hatte das ärztliche Wissen, dem Kranken zu helfen.«
»Kannten sie seinen Namen?«
»Er schien ein Fremder für sie zu sein.«
»Mhm.«
»So weit hörte ich es. Der edle Sir Arbo fand eine Lösung, und der Nordmann wurde auf einen Karren gelegt und zu dem unweit gelegenen Hospital der Johanniter gebracht. In Herrenstrunden versteht man sich offensichtlich auf derartige Verletzungen und nahm den Kranken auf.«
»Und doch starb er dort.«
»Ja, aber es war ein langsames Sterben, my Lady, denn Yskalt war ein starker junger Mann, und seine Natur wehrte sich lange gegen den Tod. Ich ritt am Montag zu den Hospitalitern und fragte nach dem Verletzten. Man führte mich in ein stilles Gemach, weiß gekälkt, reinlich, mit einem Kreuz an der
Wand. Yskalt lag unter warmen, sauberen Decken, Essen und Trank neben sich, die Wunde ordentlich verbunden.«
»Ein gnädiges Schicksal für einen Mörder«, knurrte Alyss.
»Nein, eines, das ich keinem noch so großen Sünder wünsche. Denn wann immer er wache Momente hatte, saß einer der Mönche bei ihm und betete für ihn und versuchte ihn von der Gnade Jesu zu überzeugen.«
»Ein ungetaufter Heide wird nie ins Himmelreich gelangen.«
»Ein Heide, der an seine nordischen Götter glaubt, erwartet, von ihnen in Walhall aufgenommen zu werden.«
»Thor – ja, ihn hat er verehrt.«
»Ich habe … mhm … einen kleinen Disput mit den Mönchen begonnen, fürchte ich.«
»Das kann ich mir denken.«
»Sie ließen mich endlich mit ihm alleine.«
»Und – habt Ihr noch mit ihm sprechen können?«
Johns verhangener Blick ruhte weiterhin auf dem Becher.
»Wenige Sätze nur. Doch ich sprach mit ihm über das, was ihn nach dem Tod erwartet.«
»Die Hölle?«
»Nein. Bilder aus seinem Glauben.« John seufzte, rieb sich dann die Augen. »Er starb in Frieden.«
»Was seid Ihr für ein seltsamer Mann, John. Yskalt war ein brutaler Mörder, er hat Euren Freund umgebracht, hat geraubt, geschändet, totgeschlagen. Und Ihr sorgt dafür, dass er in Frieden stirbt.«
»Ja, ich bin ein Idiot, my Lady.«
Alyss stand auf und wanderte in der Küche auf und ab. John war kein Idiot. Er hatte seine Gründe. Und vermutlich war es leicht, sie zu verstehen.
»Warum, John?«
»Weil er genug gelitten hatte. Yskalt war ein Kind in seinem Geist, und hätte man ihn als Kind behandelt, wäre er unschuldig geblieben. Er war ein Kind mit gewaltigen Kräften, von denen er nie wusste, was sie bewirken konnten. Es sind die anderen Menschen gewesen, die ihn zum Mörder gemacht haben. Sie haben ihn ausgenutzt. Er wusste nicht, was falsch und richtig war.«
»Ein Kind, das einen Hammer verehrte.«
»Ein Spielzeug, das man ihm fortnehmen wollte. So fing einst alles an.«
»Wer hat ihn aus dem Turm befreit?«
»Er kannte die Männer nicht.«
»Warum hat er Robert erschlagen?«
»Weil man ihn beauftragt hat.«
»Wer, John?«
Der verhangene Blick löste sich von dem Becher, und eisblaue Augen sahen in die ihren.
»Ich weiß es nicht, my Lady.«
Alyss versuchte in seinen Augen zu lesen, und was sie erkannte, ließ ihre Seele erstarren.
John wusste. Und was er wusste, war zu furchtbar, als dass er es zugeben konnte.
John trug schwer an seinen Geheimnissen, und dieses
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