Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
hatte er nun auch noch auf sich genommen. Sie würde es ihm lassen.
Langsam hob sie ihre Hand und strich ihm über die stoppelige Wange. Seine Lider senkten sich, und er hielt den Atem an.
Für einen Moment zauderte sie, dann gab sie dem Mitgefühl in ihrem Herzen nach und zog seinen Kopf an ihre Brust.
Ganz still hielt er, während sie sanft seine zerzausten Haare streichelte. Ihren Bruder hatte sie oft so getröstet, doch dies hier war anders. Marians Gefühle waren ein offenes Buch für sie, John hielt die seinen immer fein verschlossen. Und doch vermeinte sie einen kleinen, warmen Strom zu fühlen, eine Kleinigkeit, die die verhärtete Kruste zu durchdringen in der Lage war.
Langsam gab sie ihn wieder frei, er nahm ihre Hand und legte sie an seine Stirn.
»Danke, my Lady.«
»John, warum bin ich nicht mehr Mistress Alyss oder Alyss für Euch?«, wagte sie zu fragen.
»Weil Ihr mehr als das seid. Gestattet mir, Euch diese Ehre zu erweisen.«
»Nein, John. Das würde nur zu Fragen führen. Meine Mutter nennt Ihr Lady, und ich denke, das ist ein hoher Titel. Ihr steht er zu. Ich bin Hausherrin, Sieglerin und Händlerin.«
»Wie Ihr wünscht, Mistress Alyss.«
»Ich wünsche es. Und nun wünsche ich, dass Ihr Bader Pitter aufsucht, ein langes heißes Bad nehmt, Euch barbieren lasst und eine hübsche Bademagd bittet, Euch die Muskeln zu walken.«
»Mehr nicht?«
Ein Stückchen des alten John war wieder da, und erleichtert atmete Alyss auf.
»Möglicherweise dürft Ihr noch etwas gesottenes Huhn und Würzwein zu Euch nehmen. Aber zum Abendessen kommt bitte wieder her, wir haben Neuigkeiten für Euch.«
John gehorchte, und als die Glocken zur Vesper läuteten, trat er in die Küche, erholt, rasiert, in sauberen Kleidern und duftend wie ein ganzer Rosenstrauch. Man begrüßte ihn gebührend herzlich, und da auch Marian und Merten zum Essen erschienen waren, wurde die Unterhaltung lebhaft und bei den Schilderungen von Kilians Streichen geradezu übermütig. Lediglich Leocadie trug noch immer Trauermiene, und als sie mit dem Essen fertig waren, flehte sie John inständig an, Ritter Arbos Unschuld zu beweisen.
»Das könnte ich, wenn ich wüsste, wer Yskalt zur Flucht verholfen hat«, erwiderte John und schüttelte den Kopf. »Abgesehen davon könnte Sir Arbo selbst für sich reden, wenn er unschuldig ist, Maid Leocadie.«
»Er ist ein Ehrenmann. Vergilt ihm denn niemand seine christliche Tat? Er hat es nicht nötig …«
»Ein jeder, der seinen Stolz höher hält als seine Ehre, macht sich des Hochmuts schuldig, Leocadie. Darum hat mein Vater ihn des Hauses verwiesen. Nicht, weil er ihn für verantwortlich für Yskalts Flucht hielt. Und nun sperr das Tränenkrüglein endlich weg. Wenn Herr Arbo dich wirklich liebt, wird er schon zur Besinnung kommen.« Und dann zitierte sie zu Leocadies Verdruss auch noch den bescheidenen Freigedank: »›Die Hoffart steiget manchen Tag, bis sie nicht höher kommen mag. So muss sie wieder fallen; die Lehre sag ich allen.‹«
Alyss hatte in den letzten Tagen viel Geduld mit dem Herzeleid ihrer jungen Base aufgebracht, aber neben all den anderen Sorgen zerrte sie inzwischen reichlich an den Fasern ihres Langmuts.
22. Kapitel
E in Lumpenbündel erschien am nächsten Tag im Hof und klopfte an die rückwärtige Tür. Alyss, die gerade damit beschäftigt war, Lauryn das Einlegen von Kohl zu zeigen, öffnete und starrte verdutzt das kleine Geschöpf an. Es hatte feuerrote, kurze, struppige Haare, soweit man das unter den grauen, verwaschenen Lagen verschiedener Tücher und Umhänge erkennen konnte.
»Seid Ihr die wohledle Frau Alyss?«, fragte es mit einer ungewöhnlich tiefen Stimme.
»Die bin ich. Was willst du, Kind?«
»Das versprochene Essen.«
»Habe ich dir Essen versprochen?«
»Der Pitter hat’s gesagt. Ich krieg satt zu essen, wenn ich Nachricht bringe.«
»Nachricht von wem?«
»Erst das Essen.«
»Erst die Nachricht.«
»Nee.«
Das Wesen wollte wieder kehrtmachen, aber Alyss schnappte sich den Zipfel des obersten Tuches. Es enthüllte einen mageren Jungen. Entsetzlich mager und recht schmuddelig.
»Gut, einen Happen.«
»Satt!«
»Nachricht von wem?«
»Was gibt’s zu essen?«
Heimlich amüsiert antwortete Alyss: »Kohlsuppe.«
»Bäh.«
»Mit Räucherwurst.«
»Ah. Na ja, Nachricht von dem Bengel.«
»Wie heißt du?«
»Sach ich nich.«
Alyss zuckte resigniert mit den Schultern. Der Junge war misstrauisch, aber wahrscheinlich
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