Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
nur besonnen und erhob sich dann.
»Ja, Pater Henricus, das ist ein sehr christlicher und wohltätiger Vorschlag. Ich werde ihn erwägen. Aber nun hat Leocadie lange genug der alten Schwester Cordula ins Ohr geschrien. Es wird Zeit, dass ich sie erlöse.«
»Tu das, Kind. Und denke daran, deinem Gatten weiterhin ein gutes, pflichttreues und sanftmütiges Weib zu sein. Dann wird er auch wieder häufiger zu Hause bleiben. Denn was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.«
Noch einmal würgte Alyss eine Antwort hinunter und brachte nur einen freundlichen Abschiedsgruß zustande.
Leocadie schien tatsächlich getrösteter zu sein, und so nahm sich Alyss den Nachmittag frei von allen weiteren Verpflichtungen. Sie tat das selten genug, doch heute hatte sie über vieles nachzudenken.
27. Kapitel
D er Himmel war trüb, tief hingen die Wolken über dem Strom, aber auch wenn die Luft kühl und feucht wirkte, Regen wollte es wohl nicht geben. Der Boden im Weingarten war ein wenig matschig, darum zog Alyss sich ihre derben Holzpantinen an und, obwohl es Sonntag war, auch ihren groben Arbeitskittel. Eine alte Gugel von Robert wärmte ihre Schultern und ihren Kopf, ein dickes wollenes Umschlagtuch ihren Oberkörper. Sie öffnete den Verschlag, in dem der Falke hauste, und lockte ihn auf ihren Handschuh.
»Komm, Jerkin. Ich weiß nicht, was für eine Jagdbeute du heute erspähst, aber ein Flug in den Himmel wird dir gefallen.«
Der Falke spreizte sein Gefieder, und ein schwarzes Auge sah sie ausdruckslos an. Doch er blieb geduldig auf ihrer Faust sitzen, bis sie den Weingarten erreicht hatte und ihn abwarf.
Trostlos wirkte an diesem grauen Nachmittag die Natur. Die Äste der Apfelbäume waren kahl, die Rosenlaube zeigte ihre dornigen Ranken, nur noch ganz vereinzelt hingen von Nässe braun geränderte Blüten dazwischen. Der Lavendel, grau und struppig, wurde von vergilbten Gräsern umgeben, die die Feuchtigkeit niederdrückte. Auch die Vögel, die sich des Sommers hier ihr Stelldichein gaben, hatten sich zurückgezogen, kein Zwitschern begleitete Alyss’ Gang, nur das raue Krächzen der Raben und Elstern, die sich auf einem der benachbarten Felder um die letzten Würmer stritten.
Eine Weile wanderte Alyss in Gedanken versunken an den
Rebreihen entlang. Mochte sie auch rebellischen Gemüts sein, die Worte ihres alten Mentors hingen ihr nach.
Was Gott zusammengefügt hatte … ja, Pater Henricus selbst hatte die Trauung vollzogen und das Sakrament der heiligen Ehe gespendet. Er war Priester und damit Vermittler zwischen Gott und den Menschen. Damals hatte sie bedingungslos geglaubt, dass der Segen Gottes über ihrer Verbindung lag und dass es sein Wille war, ihr Leben mit Arndt van Doorne zu verbringen. Gottes Wille war unergründlich, und ihre jetzige Situation konnte sie sich nur so erklären, dass er ihr eine Prüfung auferlegt hatte.
Aber warum?
Was hatte sie getan? Welcher Sünde hatte sie sich schuldig gemacht?
Sie haderte einige Schritte lang, dann gewann ihr Widerspruchsgeist Oberhand.
Lag dem Allmächtigen wirklich etwas an ihrem persönlichen Schicksal? Schaute er vom Himmel herab auf jeden einzelnen Menschen hernieder und prüfte, ob er sich den Geboten entsprechend benahm? Und wenn er das tat, warum hatte er Arndt ob seiner Unredlichkeit nicht schon längst mit der Krätze geschlagen?
Sie stapfte wütend auf und ab.
Oder war es möglicherweise doch so, wie manch andere heimlich dachten?
Zweifel waren Alyss nicht fremd. Schon seit ihr Sohn mit zwei Jahren wegen der Unaufmerksamkeit der Amme im Rhein ertrunken war, stellte sie sich oft die Frage, ob Gott wirklich gerecht war. An manchen Tagen verneinte sie das.
An anderen hoffte sie doch darauf.
Sie war aufgewachsen in einem Haushalt, der über sehr viel theologisches Wissen verfügte. Ihre Mutter war eine Begine gewesen; ihr Glaube war tief verwurzelt und fest und gab ihr Halt und Stütze in allen Lebenslagen. Indes nicht Gott der Herr oder Jesus, sein Sohn, sondern die Jungfrau Maria wachte über ihr Leben. Ihr Vater, einst Benediktinerpater wider Willen, glaubte auch. Doch sein Gott war fern, ein Schöpfer und Weltenordner, der sich keinen Deut um den Einzelnen scherte. Weshalb Ivo vom Spiegel den kirchlichen Verordnungen und Regeln auch mit Skepsis gegenüberstand und sich einst den gefährlichen Ruf eines Ketzers zugezogen hatte. Über ihren Glauben aber hatten ihre Eltern selten mit ihr und Marian gesprochen. Sie hatten
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