Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)

Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)

Titel: Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ury
Vom Netzwerk:
das Patentrecht verklagte. Im Lauf ihrer bisherigen Karriere war Taylor als Staatsanwältin tätig gewesen. Sie glaubte eher an den Erfolg ihres Plan B – den Gang vor den Richter – als an Verhandlungen. Aber wie sie mir später berichtete, hatte sie die Unterscheidung zwischen Positionen und Interessen, die wir in unserem Verhandlungsseminar vorgestellt hatten, besonders beeindruckt. Also beschloss sie, doch noch einmal das Gespräch mit dem Gegner zu suchen. Zwei Stunden vor Prozessbeginn rief sie also den Chefsyndikus des Kunden an. Es war eine Frau, die ich hier Barbara Smith nenne. Taylor schlug vor, den Gerichtstermin um eine Woche zu verschieben und stattdessen zu verhandeln.
    Am darauffolgenden Tag führten die beiden Anwältinnen ein langes Telefonat. Taylor sagte zu Smith: »Ich durchblicke zwar Ihre rechtliche Position, aber ich bin nicht sicher, ob ich richtig verstanden habe, welche Interessen Sie verfolgen.« Dann erklärte Smith ihr, dass ihr Geschäftsführer nicht nur wegen der Höhe der vorgeschlagenen Abfindungssumme besorgt sei, sondern vor allem auch wegen der Auswirkungen, die ein Prozess auf den Aktienkurs haben könnte. Wie sollte der Geschäftsführer dies den Aktionären erklären? Taylor hörte nur zu und machte sich Notizen. Dann sagte sie: »Danke, ich verstehe Ihre Bedenken nun besser. Darf ich Sie morgen zurückrufen und Ihnen dann unsere Interessen darlegen?« Smith stimmte zu.
    Am nächsten Tag schilderte Taylor die Interessen ihrer Firma, und Smith hörte zu. Als Lieferant wünschte sich ihr Unternehmen nicht nur einen fairen finanziellen Ausgleich, sondern auch die Erhaltung einer gewinnbringenden Beziehung zum Kunden. Während der nächsten beiden Tage telefonierten die beiden Anwältinnen immer wieder und am Ende der Woche hatten sie – sehr zur Überraschung sämtlicher Beteiligten – eine Einigung erzielt. Vereinbart wurde eine Abfindungssumme, deren Höhe für Patentstreitigkeiten dieser Art einmalig war: Sie bewegte sich in einem geschätzten Rahmen von 400 Millionen Dollar. Eines der Schlüsselelemente war eine sorgfältig formulierte gemeinsame Erklärung beider Unternehmen, die der Geschäftsführer des Kunden verlesen konnte, um den Aktionären die hohe Abfindungssumme zu erklären. Auf diese Weise wurden die Auswirkungen auf den Aktienkurs gemildert. Außerdem wurde der Rahmenvertrag zwischen beiden Unternehmen von drei auf zehn Jahre erweitert. Die Beziehung blieb also erhalten. Statt den kostspieligen Plan B eines Prozesses mit ungewissem Ausgang auf sich zu nehmen, konnte Taylor durch Verhandlungen zu einer Lösung gelangen, die nicht nur die grundlegenden Interessen ihrer eigenen Firma, sondern auch die ihres Kunden bediente. Auf diese Weise sagte sie Nein zum Diebstahl geistigen Eigentums und erreichte trotzdem ein äußerst wichtiges Ja.
    Meiner Erfahrung nach sind derlei positive Ergebnisse sogar in gewalttätigen und blutigen Situationen möglich. Betrachten wir zum Beispiel die Geiselnahme in New York City, die ich im vorigen Kapitel beschrieben habe. Sie endete mit der Freilassung der Geisel und der friedlichen Kapitulation des Geiselnehmers. Die Verhandlungsführer sagten beharrlich Nein zu seinen Forderungen und zu der Drohung, die Geisel zu töten. Trotzdem gelangten sie zum Ja. Bei Geiselnahmen, mit denen wir es heutzutage immer häufiger zu tun haben, ist ein solches Ergebnis gar nicht so selten – tatsächlich gehört es sogar zur Norm. Aber auch in größeren – und damit auch erheblich gewaltsameren – Zusammenhängen funktioniert diese Technik. Denken Sie an das vom Bürgerkrieg zerrissene Südafrika, wo Nelson Mandela und seine Verbündeten vom ANC erfolgreich Nein zum grausamen System der Apartheid sagten, gleichzeitig aber durch beharrliche Verhandlungen mit der weißen, nationalistischen Opposition zum Ja gelangten.
    In all diesen Fällen konnte man letztlich nicht nur eine Übereinkunft treffen, sondern sorgte auch für eine gesündere, authentischere Beziehung. Wie man ein solches positives Ergebnis erzielt, werden wir im Verlauf dieses Kapitels genauer untersuchen.
    Bauen Sie eine goldene Brücke
    Vor 2 500 Jahren riet der chinesische Heerführer Sun Tsu seinen Generälen, »dem Gegner eine goldene Brücke zu bauen, über die er sich zurückziehen kann«. Obwohl sein Rat immer noch Gültigkeit hat, würde ich ihn lieber etwas positiver formulieren: Bauen Sie eine goldene Brücke für den anderen, über die er voranschreiten kann – auf

Weitere Kostenlose Bücher