Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)
sich, welches die besten Antworten wären. Betrachten Sie es als Ihre Aufgabe, den anderen auf die Akzeptanzrede vorzubereiten, die er Ihrer Auffassung nach halten sollte.
Bei der Durchführung dieses Tests kann Ihnen die unten abgebildete Tabelle dienlich sein. Identifizieren Sie die Interessengemeinschaft der Gegenseite. Notieren Sie die Hauptdiskussionspunkte und zeigen Sie auf, in welcher Weise Ihr Vorschlag die wichtigsten Anliegen der gegnerischen Partei berücksichtigt. Listen Sie die Hauptkritikpunkte auf, die sie vorbringen, und die besten Antworten, die man darauf geben könnte.
Sie müssen dem anderen dabei helfen, diese Akzeptanzrede zu halten. Ohne ihn auszutricksen oder sich ihm gegenüber herablassend zu verhalten, sollten Sie ihn mit den besten Argumenten ausstatten, mit denen er seine Interessengemeinschaft überzeugen kann. Es ist ein Fehler anzunehmen, dass dies ausschließlich die Aufgabe Ihres Verhandlungspartners ist: Wenn Sie eine Übereinkunft anstreben, die tatsächlich zum Tragen kommen soll, dann müssen Sie selbst sich ebenfalls darum bemühen.
Wie bereits beschrieben, hatte ich es im Rahmen meiner Vermittlungstätigkeit eines Tages mit den militärischen Oberbefehlshabern einer Guerillabewegung zu tun, die mit Gewalt die Unabhängigkeit ihrer Region vom Mutterland durchzusetzen versuchte. Ich bat die Männer, ihre Unabhängigkeitsforderung dem Akzeptanzrede-Test zu unterziehen.
»Stellen Sie sich vor, der Präsident lässt sich auf Ihre Forderungen ein und hält morgen eine Fernsehansprache, in der er der ganzen Nation verkündet, dass er Ihrer Region die politische Unabhängigkeit gewährt. Wie würden seine Wähler reagieren?«
»Er hätte ein Riesenproblem, aber das ist seine Sache«, antwortete der Oberbefehlshaber.
»Wenn Sie aber wollen, dass er diese Rede hält, dann ist es auch Ihr Problem. Wie können Sie ihm seine Rede erleichtern?«, fragte ich.
Die Guerillaführer überdachten die politischen Einschränkungen, denen der Präsident unterlag, und stimmten ihre unmittelbaren Forderungen darauf ab: Sie erbaten zunächst also lediglich einen vorübergehenden Waffenstillstand, was die Regierung tatsächlich akzeptierte.
Helfen Sie dem anderen, das Gesicht zu wahren
Wer ein Nein akzeptiert, läuft Gefahr, bei den ihm wichtigen Menschen das Gesicht zu verlieren. Dies schadet nicht nur dem Ego, sondern bedeutet noch viel mehr: Er verliert seine persönliche Ehre, seine Würde und Selbstachtung. Wie oft schon habe ich Verhandlungen scheitern sehen, weil der andere sein Gesicht nicht wahren konnte. Betrachten Sie es deshalb als Ihre Aufgabe – so seltsam dies auch klingen mag –, dem anderen dabei zu helfen, bei seiner Interessengemeinschaft gut dazustehen, damit er Ihren Vorschlag akzeptieren kann.
Lassen Sie mich im Folgenden einen Rat des Experten für Geiselnahmen, Dominick Misino, zitieren, den ich schon in einem früheren Kapitel erwähnt habe: »Es gehört zu unseren wichtigsten Grundsätzen als Verhandlungsführer, dass man dem Typen am anderen Ende der Telefonleitung dabei helfen muss, das Gesicht zu wahren, wenn man gewinnen will. … Das habe ich ganz am Anfang meiner Karriere gelernt, als ich bei einer Geiselnahme in Spanish Harlem vermitteln sollte. Es war in einer heißen Sommernacht um etwa drei Uhr morgens. In den Straßen liefen bestimmt 300 bis 400 Menschen herum. Ein junger Mann mit einem geladenen Gewehr hatte sich in einem überfüllten Mietshaus verbarrikadiert. Er signalisierte zwar seine Bereitschaft aufzugeben, tat es aber nicht, um nicht hinterher als Schwächling dazustehen. Der Kerl hatte zwar gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen, aber er war kein Mörder, also machte ich ihm folgenden Vorschlag: Wenn er sich beruhigte und sich von mir Handschellen anlegen ließ, würde ich dafür sorgen, dass es so aussah, als hätte er bei seiner Festnahme heftige Gegenwehr geleistet. Er legte sein Gewehr nieder und benahm sich wie ein perfekter Gentleman, bis wir auf die Straße hinauskamen, wo er wie verrückt herumschrie und Krach schlug, genau wie wir vorher vereinbart hatten. Währenddessen feuerte die Menge ihn mit wilden ›José! José!‹-Rufen an. Wir warfen ihn auf den Rücksitz des Autos, drückten das Gaspedal durch und rasten davon. Zwei Straßen weiter setzte José sich auf, grinste breit und sagte zu mir: ›Hey Danke, Mann. Das war wirklich nett von Ihnen.‹ Er hatte erkannt, dass ich ihm einen Ausweg aus seiner Situation gezeigt hatte,
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