Nelson, das Weihnachtskaetzchen
wunderschön. Auch die Eisbahn mit dem tiefblau angestrahlten Neptunbrunnen sah von oben toll aus. Es hätte alles sehr romantisch sein können, doch Arthur hatte den Eindruck, es hinge nun etwas zwischen Liselotte und ihm in der Luft. Das abrupt beendete Gespräch am Punschstand hatte seine Spuren hinterlassen.
Er sah zu den dick vermummten Menschen hinab, zu den warmen Lichtern und den umherwirbelnden Schneeflocken. Wenn er mit Nelson über seine Tochter sprechen konnte, sagte er sich, dann würde er auch schaffen, mit Liselotte über Anna zu sprechen. Er musste es einfach versuchen. Das war er ihr schuldig, fand er.
»Ich habe kein gutes Verhältnis zu meiner Tochter«, sagte er, ohne den Blick von den Marktgassen abzuwenden. »Seit drei Jahren haben wir quasi keinen Kontakt mehr. Seit dem Tod meiner Frau.« Nun sah er vorsichtig auf. »Seit dem Tod von Sophie.«
Liselotte schwieg und betrachtete ihn aufmerksam. In ihrem Blick lag Wärme, er musste keine Angst vor ihrem Urteil haben. Trotzdem fielen ihm die Worte schwer. Er räusperte sich. »Damals ist es auseinandergegangen mit uns beiden. Sie heißt Anna. Meine Tochter, meine ich.«
Er sah aus dem Fenster. Die Gondel schwebte immer höher. Draußen waren die Lichter der Stadt zu sehen. Der Alexanderplatz, die breiten Autostraßen und unter ihnen der immer kleiner werdende Weihnachtsmarkt.
»Was Worte anrichten können«, sagte er. »Man liebt sich, und dann sagt man etwas, und alles ist kaputt. Nur wegen ein paar Worten, die gar nicht so gemeint waren.«
Er verfiel in Schweigen. Doch da war noch etwas, das er sagen musste. Die ganze Wahrheit musste heraus. Er wollte sich nicht verstecken.
»Ich habe versagt«, sagte er schließlich. »Ich habe als Ehemann versagt, als Vater und als Großvater. So, jetzt weißt du alles über mich.«
Liselotte nahm seine Hände. Sie lächelte warmherzig.
»Nein, du hast nicht versagt. Da bin ich mir ganz sicher.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob Anna mir vergeben wird. Ich habe sie weggestoßen, als ich sie am nötigsten gebraucht hätte. Sie und den Rest der Familie. Dafür gibt es keine Entschuldigung.«
»Sie wird es verstehen. Davon bin ich überzeugt.«
Arthur sah in den Nachthimmel hinauf. Milliarden kleiner Flocken fielen auf die Stadt herab. Wenn er sich da nur so sicher wäre wie Lieselotte.
»Sie wird es verstehen«, sagte sie eindringlich und drückte seine Hände. »Du musst es ihr nur erklären. Worte haben nämlich nicht nur die Macht, Schaden anzurichten.« Sie sah ihm fest in die Augen. »Verstehst du? Worte können auch noch etwas anderes. Sie können heilen.«
22
An diesem Tag hatte es im Büro etwas länger gedauert, und Anna war sofort nach Hause gefahren, um rechtzeitig das Mittagessen auf den Tisch zu bringen. Es schneite immer noch, weshalb sie nur langsam vorankam. Die meisten Hauptstraßen waren zwar geräumt, doch in den Nebenstraßen sah das ganz anders aus. Aber auch der Schulbus hatte Verspätung, viel mehr noch als Anna, und es dauerte ewig, bis die Kinder vom Küchenfenster aus zu sehen waren, wie sie durch den Schnee nach Hause schlurften. Wie immer hielten sie ein paar Meter Abstand voneinander.
Laura kam als Erste ins Haus. Seit der Ohrfeige strafte sie ihre Mutter durch Missachtung. Anna hatte sich zwar entschuldigt, doch Laura wollte nichts davon wissen. Sie ignorierte sie einfach. Auch jetzt ging sie schweigend und mit demonstrativ zur Schau getragener Gleichgültigkeit an der offenen Küchentür vorbei und steuerte ihr Zimmer an.
Kurz darauf schlurfte Max ins Haus. Er pfefferte seine Schultasche in die Garderobe und betrat die Küche.
»Hi, Mum«, sagte er und lugte mit wenig Begeisterung in den Topf auf dem Herd. Doch das lange Gesicht, das er zog, war schlagartig verschwunden.
»Wow!«, rief er, hob dann den Deckel der Pfanne und rief noch einmal: »Wow!«
Überrascht sah er zu seiner Mutter auf. Anna hatte Schnitzel mit Pommes gemacht. Zuerst hatte sie noch geplant, ein paar Erbsen dazu zu kochen, doch dann hatte sie es sich anders überlegt. Für Gemüse interessierte sich Max ja doch nicht.
»Guten Appetit. Ich hoffe, es schmeckt dir.«
»Aber … ähm, danke, Mama.«
Er betrachtete fassungslos das Essen, dann sah er wieder zu seiner Mutter auf. Nun bekam sein Gesicht einen forschenden Ausdruck.
»Darf ich das Essen mit in mein Zimmer nehmen?«, fragte er zögernd. Normalerweise war das nämlich streng verboten.
Doch Anna hob einfach die
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