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Nelson sucht das Glück

Nelson sucht das Glück

Titel: Nelson sucht das Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Lazar
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Dinge zum Essen auszuprobieren.
    Er meinte, dass es eigentlich für ihn keinen Grund zur Klage gab. Und ganz gewiss gab es in seinem Leben Momente echten Glücks. Wenn er zu einer neuen Tour mit neuer Ladung aufbrach und zu einem Ort unterwegs war, an dem er noch nie gewesen war, drehte er das Radio laut auf und sang aus vollem Hals mit. Das Singen war die andere große Leidenschaft seines Lebens. Als Junge hatte er sich immer ausgemalt, Sänger zu werden, und obwohl er diesen Traum nie in die Wirklichkeit umgesetzt hatte, hielt er sich immer noch für talentiert. In solchen Momenten, wenn er laut singend am Steuer saß, vor sich die Weite der Landstraße, durchströmte ihn große Aufregung und Vorfreude auf alles, was kommen würde. Ein Zustand, der oft wochenlang anhielt, wenn er durch die mächtigen Gebirge und Wälder Amerikas und an seinen gewaltigen Flüssen und Seen vorbei fuhr.
    Wenn die Einsamkeit tief in ihm drinnen doch einmal an die Oberfläche trat, geschah das nur zu Zeiten, da die ständige Fahrerei ihn zu nerven begann. Ein Großteil der Vereinigten Staaten ist flach, und im Zuge der Globalisierung sah doch vieles in diesem Land mit seinen großen Ladenketten, den Einkaufszentren und den Fertighaussiedlungen gleich aus. Und so kam es, dass manchmal, wenn sich vor ihm die Landstraße wie endlos ins Nichts erstreckte, ein Gefühl der Sinnlosigkeit in Thatcher aufstieg. Doch seine Traurigkeit ging nicht besonders tief, weil er kein Mensch war, der zu Extremen neigte, außer wenn er zu viel getrunken oder sonst über die Stränge geschlagen hatte.
    Ähnlich traurig wurde Thatcher immer dann, wenn sich das Ende einer Tour näherte und er zurück in sein kleines Haus in Sullivan County im Staate New York fuhr. Es war ein schönes Fleckchen Erde, aber Thatcher verbrachte den größten Teil seiner Zeit im Haus, wenn er dort war. An den dunklen Möbeln und Vorhängen seiner Eltern hatte er nie etwas geändert, und sie selber hatten viele Jahre vor ihrem Tod nicht mehr renoviert. Meist lag Thatcher auf dem Bett und schaute fern, trank Bier und wärmte sich Fertiggerichte aus dem Gefrierfach auf. Oft starrte er die Wände an und nahm sich fest vor, sich auf einer seiner nächsten Fahrten ein paar neue Bilder zu besorgen, doch meistens wurde daraus nichts. Auch beschloss er, endlich den tropfenden Wasserhahn zu reparieren und vielleicht neue, farbenfrohe Vorhänge zu kaufen, doch all diese Pläne waren nie mehr als eine Abhakliste für die ferne Zukunft. An dem Abend, bevor er wieder aufbrechen musste, erfasste ihn stets ein Gefühl der Erleichterung, und wenn er am nächsten Tag am Steuer seines Brummis saß, das Motorengeräusch und die vorbeihuschende Landschaft als seine Begleiter, dann war auch die Einsamkeit, die sich einen Tag zuvor in sein Leben geschlichen hatte, wieder verschwunden.
    Thatcher war ein attraktiver Mann. Durch das viele Essen unterwegs war er zwar mit seinen achtunddreißig Jahren etwas aus dem Leim geraten, doch da er groß war, konnte man seinen Bauch leicht übersehen. Das dunkelblonde Haar trug er lang und zum Pferdeschwanz gebunden, und sein Ziegenbärtchen zierte ein freundliches Gesicht mit leuchtend blauen Augen. In seiner Frühzeit als Trucker war er mehrfach Frauen begegnet, für die er tiefe Gefühle entwickelt hatte. Doch schon bald hatte er gemerkt, dass es praktisch unmöglich war, eine ernsthafte Beziehung zu jemandem aufzubauen, der so viel unterwegs war wie er. Eine frühe Liebe zu einem Mädchen namens Ivy hatte immerhin acht Monate gehalten, doch in Wirklichkeit hatte er während der ganzen Zeit nur sechzehn Tage mit ihr verbracht, und obwohl auch sie sehr verliebt in Thatcher gewesen war, hatte sie ihn verlassen und sich mit einem jungen Mann zusammengetan, der in ihrer Heimatstadt in Wisconsin lebte und arbeitete.
    Auch zu anderen Liebschaften hatte Thatcher über die Jahre hinweg Kontakt gehalten. In seinem kleinen Telefonbüchlein standen die Nummern von zehn oder fünfzehn Frauen, über das ganze Land verteilt, die er immer dann anrief, wenn er in der Stadt war. Dann traf man sich zum Abendessen und ging anschließend in das Haus der Frau oder in ein Motel, um dort die Nacht zu verbringen, oft blieb man jedoch auch im Führerhaus von Thatchers Truck. Aus irgendeinem Grund mochten es die Frauen, dort Sex zu haben, und Thatcher gefiel es ebenfalls. Wenn er stattdessen bei den Frauen im Haus schlief, dann fiel es ihm immer ein wenig schwer, mitten in der Nacht ein

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