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Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Titel: Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Miriam an meiner Hand mit einem brennenden Strohbündel, das zwischen uns zu Boden stürzte, eine lodernde Guillotine, die mit einer Klinge aus Hitze und Licht die Verbindung zwischen uns durchtrennte, ihre Wange streifte und einen erheblichen Teil ihres schwarzen Haares versengte. Sie schrie erneut auf, schlug mit der freien Hand nach ihrem Gesicht und ihrem Haar, versuchte, ihre linke Hand loszureißen und damit ebenfalls nach der verletzten Stelle ihrer Haut zu greifen, zu schlagen oder was sonst auch zu tun, als ich sie sofort mit eisernem Griff packte und weiterzerrte. Wir hatten keine Zeit zum Leiden.
    Hinter uns wurden entsetzte Schreie laut, als weitere brennende Strohbündel und Balken vom Dach hinab- und in die Menschenmasse hineinkrachten. Ich roch den süßlich intensiven Gestank von verbranntem Fleisch. Es musste viele erwischt haben, mindestens ein halbes, wenn nicht gar ein ganzes Dutzend. Doch der Rest ließ sich davon nicht beeindrucken, sondern setzte uns im Gegenteil noch wütender und entschlossener nach.
    Die Meute holte auf. Immer öfter wurden wir nun von Steinbrocken und Holzstücken getroffen, die die Menschen nach uns schleuderten. Sie hatten weiter aufgeholt. Sie rannten eindeutig langsamer als wir, aber sie holten trotzdem auf!
    »Bleib stehen, Miststück!« Eine helle Kinderstimme, schrill und von jener absoluten Bosheit erfüllt, die nur Kinder aufzubringen imstande sind. Kinder. Selbst die Kinder machten Jagd auf uns!
    Und weil Kinder und Betrunkene meistens die Wahrheit sagen, erkannte ich in diesem Augenblick, dass wir tatsächlich in der Falle saßen. Die Gasse war mehr als nur eine Gasse — sie war eine Sackgasse. An ihrem Ende wurde sie von einem wuchtigen Gebäude begrenzt, das mit einem massiven Holztor verschlossen war. Anders als die meisten Häuser der mittelalterlichen Stadt war sein Dach nicht mit Strohbündeln, sondern mit Schindeln bedeckt, und es gab — zumindest zu dieser Seite hin — auch kein Fenster, keine Nebentür, einfach nichts.
    Es war vorbei. Ich hätte dem Instinkt der Fledermäuse nicht trauen dürfen. Ich hatte keine Flügel.
    Trotzdem rannte ich weiter, meine Begleiterin, die die Aussichtslosigkeit unserer Situation ebenfalls erkannt hatte und langsamer zu laufen versuchte, unbarmherzig immer weiter mit mir reißend. Wir durften nicht aufgeben! Niemals! Wir würden rennen bis zuletzt und unsere Haut so teuer wie möglich verkaufen!
    Irgendetwas flog dicht über uns hinweg und zerstob in einem Feuerregen an der Wand, vielleicht ein Stein, irgendein gemeines Wurfgeschoss, vielleicht eine brennende Fledermaus. Der Himmel spie Feuer, und die Luft war jetzt auch hier so stickig und heiß, dass jeder Atemzug zur Qual wurde. Wir atmeten flüssiges Feuer.
    »Bleib stehen, Miststück! Wir kriegen dich ja doch!«
    Ich widerstand der Versuchung, mich umzusehen und damit kostbare Zeit zu verschwenden, aber ich wusste, dass sie wieder näher gekommen waren. Die Gasse war nicht sonderlich lang, aber selbst wenn sie nicht vor einem Tor geendet hätte, das massiv genug aussah, um dem Beschuss aus einem Schiffsgeschütz zu trotzen, hätten wir keine Chance gehabt. Sie würden uns einholen, lange bevor wir das Ende dieser brennenden Höllenschlucht erreichten. Ich musste aufwachen. Ich musste aus diesem verdammten Traum aufwachen, irgendwie!
    Ein Ruck ging durch die Wirklichkeit (Wirklichkeit? — Haha), nur ein winziges Stocken, wie ein nicht vollkommen sauberer Schnitt in einem Film, den man nicht wirklich sieht, aber irgendwie doch spürt, und plötzlich waren Feuer und Rauch verschwunden und an ihrer Stelle spannte sich ein von dunklen Regenwolken verhangener Himmel über uns. Wir waren auch nicht mehr in Crailsfelden, jedenfalls nicht mehr in einem mittelalterlichen, brennenden Crailsfelden, dennoch aber von hohen Bruchsteinmauern und schindelgedeckten Dächern umgeben.
    Es verging ein Moment, bis mir klar wurde, dass der Schnitt wohl doch drastischer gewesen war, als ich angenommen hatte, und dann noch ein zweiter, bis ich das neue Setting erkannte. Das Kloster! Wir befanden uns auf dem Burghof, fünfhundert Jahre und ebenso viele Meter von der brennenden Kulisse des ersten Aktes entfernt.
    »Gib endlich auf! Du machst es nur schlimmer, Miststück!«
    Die Stimme war so voller Bosheit und Hass, dass ich eine volle Sekunde wie gelähmt dastand, bevor ich die Kraft aufbrachte, mich herumzudrehen. Wir waren entkommen, aber nur der Kulisse, nicht den Akteuren. Wir hatten

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