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Nemesis 02 - Geisterstunde

Nemesis 02 - Geisterstunde

Titel: Nemesis 02 - Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
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meine Hand zurück, als ich weiterblättern wollte, und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf einen Artikel, der eindeutig älter war als jeder hier im Raum. Auf der Kopfzeile des unordentlich aus einer Zeitungsseite herausgerissenen Fetzens war noch der Reichsadler zu sehen, der ein Hakenkreuz in den winzigen Krallen trug. »Hier geht es darum, wie das Zahngold aus den Konzentrationslagern zur besonderen Verfügung an die SS überstellt wurde.«
    Ich hob den Hefter etwas näher ans Licht und strengte die Augen an, aber alles, was ich erkennen konnte, war eine Aneinanderreihung nahezu unleserlicher, fast vollkommen ausgebleichter Buchstaben. Diese Zeitung war mindestens sechzig Jahre alt, wenn nicht mehr. »Du kannst das lesen?«, fragte ich zweifelnd.
    »Nein«, antwortete Stefan und nickte. Als ich ihn verständnislos anstarrte, grinste er breit. »Vor einer Weile gab es eine interessante Artikelserie über das verschwundene Nazigold. Zufällig haben sie ganz genau diesen Zeitungsartikel zitiert. Im Spiegel war eine Fotokopie davon abgedruckt.«
    »Du interessierst dich für so etwas?«, fragte Judith.
    »Ich interessiere mich prinzipiell für alles«, antwortete Stefan, in einem Ton, von dem ich nicht sagen konnte, ob er verächtlich oder einfach nur überrascht klang. In einem eindeutig lauernden Tonfall und mit einem kurzen Seitenblick auf Carl fügte er hinzu: »Und anscheinend nicht nur ich.«
    Carl bedachte ihn mit einem gelangweilten Blick, der sogar fast überzeugend wirkte. Stefan nahm mir den Hefter aus der Hand, begann darin zu blättern und fuhr mit den ausladenden Gesten eines Lehrers, der stolz auf sein Wissen ist, fort: »Hier sind Belege dafür, dass das Zahngold in der Reichsbank in Berlin gelagert wurde, und hier ein Artikel darüber, wie Nazischätze im Frühjahr '45 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus Berlin weggebracht worden sind.«
    Er blätterte weiter und präsentierte uns Berichte über Nazigold, das in Bergwerken in Thüringen versteckt oder zu einer alten Festung in Bayern gebracht worden war, Spekulationen darüber, ob es in Seen versenkt, in Höhlen versteckt oder einfach irgendwo vergraben worden war.
    Wieder andere Artikel ergingen sich in geradezu haarsträubenden Spekulationen darüber, wie Gold, Edelsteine und Bargeld beiseite geschafft worden waren, um geheime Forschungsprojekte der Nazis auch nach dem Untergang des Dritten Reiches fortsetzen zu können, und wie es anschließend von Nazibonzen dazu benutzt worden war, um sich über den so genannten Rattenweg abzusetzen – eine Fluchtroute über mehrere norditalienische Klöster, über die sich etliche einflussreiche Nazis nach Südamerika abgesetzt hatten, was sie allerdings fast ihr gesamtes zusammengestohlenes Vermögen gekostet hatte.
    »Das ist ja alles ganz interessant«, sagte Judith, »aber was hat dieses Zeug hier zu suchen?«
    »Es passt zu dem Dolch«, sagte Maria.
    »Das Ding stammt aus dem Dritten Reich?«, erkundigte sich Judith.
    »Ein Napola-Dolch«, bestätigte Maria. Als sie unsere verständnislosen Blicke bemerkte, fügte sie hinzu:
    »Napola steht für nationale politische Lehranstalten – Eliteschulen. Solche Dolche wurden an Schüler von Adolf-Hitler-Schulen verschenkt. Nur sie tragen diesen Sinnspruch.«
    »Du scheinst dich ja bestens damit auszukennen. Und nicht nur damit«, bemerkte Stefan misstrauisch.
    Maria schien unter seinem Blick sichtbar zusammenzuschrumpfen, aber zugleich erschien auch ein vollkommen unerwarteter Ausdruck von Trotz in ihren Augen. »Ich habe mich schon immer sehr für Geschichte interessiert«, verteidigte sie sich. Irgendwie klang sie noch immer, als müsse sie sich für ihr Fachwissen entschuldigen, fand ich.
    Ich schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, doch sie wich meinem Blick aus und drehte nervös den Dolch zwischen ihren Händen.
    »Damit kommen wir zu Ihnen«, sagte Stefan und drehte sich zu Carl um, der sich noch immer so fest gegen die Wand presste, als versuche er, in der Mauer zu verschwinden. Er seufzte. »Wollen Sie dieses alberne Spielchen noch lange treiben, oder können wir uns darauf einigen, dass der ganze Krempel hier Ihnen gehört? Ich finde, wir haben allmählich genug Zeit verschwendet.«
    Carl wand sich tatsächlich noch einen Moment, aber schließlich rang er sich zu einem widerwilligen Nicken durch. »Es stimmt. Die Sachen ... gehören mir«, gestand er.
    Er hätte alles abstreiten können. Letztlich waren wir weder auf seine Kulturtasche noch auf

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