Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nemesis 02 - Geisterstunde

Nemesis 02 - Geisterstunde

Titel: Nemesis 02 - Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
Allein der Gedanke, auf das flache Dach hinaufzuklettern, dessen Winkel mit jedem Schritt, mit dem wir uns dem Gebäude näherten, steiler zu werden schien, trieb mir einen eisigen Schauer über den Rücken.
    »Du bist entweder mutiger, als ich dachte«, sagte ich, »oder noch verrückter, als ich befürchtet habe.«
    Stefan reagierte nur mit einem Grinsen, das ich in der Dunkelheit zwar nicht sehen, dafür aber umso deutlicher spüren konnte. Nachdem er kurz und prüfend an der Tür des Schuppens gerüttelt hatte – sie war selbstverständlich abgeschlossen und ebenso selbstverständlich das einzig halbwegs Stabile an dem ganzen Gebäude, so dass er erst gar nicht versuchte, sie aufzubrechen -, ließ er seinen Blick prüfend über die leicht überstehende Kante des mit Holzschindeln gedeckten Daches gleiten, hob die Arme und zog sich dann mit einer schwungvollen Bewegung hinauf, die jedem Olympiaturner zur Ehre gereicht hätte.
    Aus der gleichen fließenden Bewegung heraus richtete er sich auf und machte einen ersten vorsichtigen Schritt, um die Stabilität des Daches zu prüfen. Dann drehte er sich wieder zu mir um, ging in die Hocke und machte eine auffordernde Bewegung zu mir herab.
    »Worauf wartest du?«, fragte er. »Keine Angst. Das Dach ist stabil.«
    Das hatte ich auch nicht bezweifelt. »Und dann?«, fragte ich.
    Stefan seufzte. »Jetzt komm schon«, sagte er, wartete einen Moment vergebens darauf, dass ich mit irgendetwas anderem als verständnislosen Blicken reagierte, und fuhr schließlich mit einem leisen Lachen fort: »Du willst doch nicht, dass ich den ganzen Ruhm für mich allein einheimse, oder?«
    »Doch«, antwortete ich, aber dann hob ich, fast zu meiner eigenen Überraschung, dennoch die Arme und tastete mit ausgestreckten Händen nach der Dachkante. Stefan war ein gutes Stück größer als ich, so dass ich die morschen Schindeln gerade mit Müh und Not mit den Fingerspitzen erreichen konnte und schon erleichtert aufatmen wollte, doch anscheinend hatte er sich auf seine Rolle als Spielverderber gut vorbereitet. Ehe ich auch nur richtig begriff, was er tat, ließ er sich auf die Knie sinken, streckte beide Arme aus und ergriff meine Handgelenke.
    Ebenso mühelos, wie er vorhin Carl zu seinem Stuhl getragen hatte, zog er mich weit genug in die Höhe, dass ich mich mit dem Ellbogen auf dem Dach aufstützen konnte. Danach lockerte er seinen Griff zwar, ließ aber nicht los, sondern sah nur mit einem jetzt eindeutig schadenfrohen Grinsen zu, wie ich mich ächzend – und weitaus weniger elegant als er zuvor – zu ihm hinaufzog.
    Als ich es geschafft hatte, blieb ich einige Sekunden lang keuchend und um Atem ringend auf Händen und Knien hocken. Meine Arme und Schultern schmerzten von der ungewohnten Anstrengung, und ich fühlte, dass mir trotz der kühlen Nachtluft der Schweiß ausbrach.
    Schließlich ließ er mich doch los, stand mit einer Bewegung auf, bei der ich mittlerweile sicher war, dass er sie nur so mühelos und elegant aussehen ließ, um mich zu ärgern, und trat zwei Schritte zurück.
    »Na also«, sagte er. »Geht doch.«
    »Ja«, knurrte ich, während ich mich umständlich ebenfalls hocharbeitete. »Und vielen Dank auch.«
    »Kein Problem«, antwortete er. Sein Grinsen wurde noch breiter. »Wohl ein bisschen aus dem Training, wie?«, fragte er.
    »Was für ein Training?«
    Stefan grinste noch breiter. »Pass auf, wo du hintrittst.«
    Ich erstarrte mitten in der Bewegung, obwohl ich noch nicht einmal einen ganzen Schritt gemacht hatte. »Ich denke, das Dach ist stabil?«
    »An den meisten Stellen«, antwortete er. »Pass einfach auf, wohin du trittst.« Also gut, ich zog ihm eine Menge von den Pluspunkten, die er in den letzten Minuten eingeheimst hatte, wieder ab. Eigentlich alle.
    Seine Warnung war nicht unbegründet. Mein Herz begann schneller zu klopfen, als ich sah, in wie schlechtem Zustand das Dach wirklich war. Was Stefan als ein paar morsche Stellen bezeichnet hatte, das entpuppte sich als ein Durcheinander unterschiedlich großer, unregelmäßig geformter Löcher, die das Dach für meinen Geschmack eher zu etwas werden ließen, das wie der verunglückte Versuch eines wenig begabten Holzschnitzers aussah, ein Fischernetz nachzubauen. Der Schuppen war nicht besonders hoch, aber meine Knie begannen trotzdem zu zittern, als ich mich Stefan anschloss, der sich umwandte und mit geradezu unverschämter Selbstsicherheit über das Durcheinander aus morschen Holzschindeln und stehen

Weitere Kostenlose Bücher