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Nemesis 02 - Geisterstunde

Nemesis 02 - Geisterstunde

Titel: Nemesis 02 - Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
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ging, wenn man ihnen versehentlich auf die Füße getreten war. Erst wenn die Schwellung an ihren Zehen ein wenig zurückgegangen war, rieb man sie vorsichtig mit Rosenwasser ein. Ich war kein Frauenversteher und erst recht kein Beziehungsprofi, aber ich beherrschte zumindest ein paar Grundregeln.
    »Also gut«, seufzte Carl mit einem verächtlichen Seitenblick auf Ed, erhob sich von seinem Platz und griff nach der Taschenlampe, die Judith auf dem Küchentisch abgelegt hatte. »Ich weiß zwar, dass es sinnlos ist, aber ich begleite euch.«
    »Er hat Angst vor mir.« Ed grinste selbstzufrieden.
    Carl schüttelte den Kopf. »Eher um Sie«, korrigierte er Ed trocken und trat dann an meine Seite. »Vor allem aber um euch. Das hier ist ein altes, baufälliges Gemäuer.
    Man verletzt sich nur zu schnell, wenn man sich nicht auskennt.«
    Und du kennst dich natürlich blendend aus, fügte ich in Gedanken hinzu. Obwohl du mit von Thun, mit dieser ganzen wahnsinnigen Geschichte um irgendein hirnrissiges Testament und mit diesem Geisterschloss hier überhaupt nichts zu tun hast. Gut, du suchst von Zeit zu Zeit nach verborgenen Schätzen in den Katakomben, aber damit hat es sich auch schon. Ich behielt meine Gedanken für mich und widersprach ihm nicht. Flapsige Sprüche arteten hier nur zu schnell in Streit und Mordgelüste aus, so viel hatte ich begriffen. Außerdem hatte Ellen meine Aussichten auf etwas Alleinsein mit ihrem dominanten Gehabe längst in Grund und Boden gestampft, und wenn ich die Wahl hatte, mit einer beleidigten Frau allein durch die Dunkelheit zu ziehen oder mich zusätzlich von Carl begleiten zu lassen, entschied ich mich für Letzteres. So blieb mir ein Konflikt mit Judith vorläufig erspart. Und wer weiß – vielleicht erinnerte sich Zerberus unterwegs auf mysteriöse Weise ja doch noch an einen Weg, der an den mumifizierten Überresten des sagenumwobenen Klaus Sänger und an Nazigold vorbei hier hinausführte?
    »Das mit Stefan«, sagte ich zögernd, als wir die Küche verlassen hatten, ohne wirklich zu wissen, warum ich es sagte. »Es tut mir Leid. Ich meine das, was er mit Ihnen gemacht hat.«
    Wollte ich ihm ein wenig versöhnlich stimmenden Honig ums Maul schmieren, weil ich hoffte, doch noch etwas Wichtiges aus ihm herauszubekommen (ich war felsenfest davon überzeugt, dass er uns weitaus mehr verschwiegen hatte als nur sein privates Nazigold-Forschungszentrum im Keller dieser Ruine), oder klang tatsächlich so etwas wie schlechtes Gewissen aus meiner Stimme? Wenn ja: warum? Ich hatte Zerberus nichts getan, obwohl mir sehr danach gewesen war, ebenfalls kopflos auf ihn einzuschlagen. Vielleicht reichte das ja.
    Vielleicht wollte ich mir aber auch nur beweisen, dass ich allen negativen Schwingungen der eisigen Atmosphäre dieses Gemäuers zum Trotz in der Lage war, an meinem eigentlich friedliebenden, sozialverträglichen Gemüt festzuhalten.
    Oder ich wollte einfach nur irgendetwas sagen, ehe Judith anfangen konnte zu reden.
    »Schon gut.« Carl zuckte seufzend mit den Schultern und zog eine gequälte Grimasse. »Sie müssen sich nicht entschuldigen, im Gegenteil. Ich habe mich zu bedanken.
    Wenn Sie nicht gewesen wären, hätte er mich wahrscheinlich einfach umgebracht.«
    Ich nickte ihm dankbar zu. Vielleicht war es auch nur das gewesen, was ich hatte hören wollen. Ich fühlte mich ein kleines bisschen wie ein Held, während ich das Hauptgebäude verließ und den finsteren Hof Seite an Seite mit Judith und Carl überquerte.
    Ich schlug einen großen Bogen um den Schacht, in dem von Thun verschwunden war, und verlangsamte meine Schritte unwillkürlich, als wir uns dem alten Lehrerhaus näherten, das sich unweit des seltsamen türenlosen Turmes befand, der über unseren Köpfen in schwindelerregende Höhen reichte und nur als bedrohlicher, tief-schwarzer Schatten erkennbar war. Fledermäuse kreisten, hektisch mit ihren ledrigen Flügeln schlagend, um sein spitz zulaufendes Dach. Judith vergaß ihre Enttäuschung über meinen misslungenen Versuch, sie an Ellen abzuschieben, für eine Sekunde, als sie die pelzigen schwarzen Tierchen erspähte, die wie Hummeln um die Turmspitze schwirrten, und griff Schutz suchend nach meiner Hand. Auch mein Magen zog sich zu einem kaum mehr als tennisballgroßen Klumpen zusammen, als die fliegenden Ungeheuer mir die noch keinen Deut verblasste Erinnerung an Stefans Sturz und vor allem an dessen Ursache ins Bewusstsein zurückriefen. Außerdem verspürte ich wieder

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