Nemti
»Sagen wir so, Sie führen eine nachträgliche informatorische Befragung von Kräuter-Jupp durch.«
»Danke, Herr Habermehl.«
»Freuen Sie sich nicht zu früh. Glauben Sie nicht, dass ich Sie allein auf einen potenziellen Zeugen loslasse. Herr Beyer wird Sie begleiten. Ich erwarte, dass Sie seinen Anweisungen folgen. Haben wir uns verstanden?«
»Ich weiß, keine Alleingänge. Wo muss ich Kräuter-Jupp suchen?«
»Finden Sie es heraus. Wäre eine gute Übung in Kombinatorik. Schon eine Idee?«
Lukas überlegte einen Moment. »Natürlich. In der Ermittlungsakte zum Mord am Laacher Kopf liegt ein Handzettel von Kräuter-Jupp mit den Angaben, wann und wo er seine Waren anbietet.«
»Dann los. Reden Sie mit ihm. Aber Ihnen ist schon klar, dass die Erkenntnisse, die Sie vielleicht gewinnen werden, nicht verwertbar sind? Das ist schließlich keine offizielle Befragung.«
»Das weiß ich, kann aber trotzdem nützlich sein.«
»Bedenken Sie, dass der Mord drei Wochen zurückliegt«, meinte Habermehl. »Ob er sich noch erinnern kann, lasse ich dahingestellt.«
»Ich möchte es zumindest versuchen. Vielleicht ist ihm nachträglich noch etwas eingefallen. Wem schadet es?«
Mittwoch, 5. September 2001
L ukas lenkte seinen Geländewagen durch Weibern, einem kleinen Ort mit langer Tradition im Tuffsteinabbau, und bog in Richtung Engeln ab.
»Es ist still hier. Sprechen wir nicht miteinander?«
Beyer blickte mit grimmigem Ausdruck stur nach vorn und reagierte nicht auf Lukas’ Frage. Er beließ es dabei, denn er wollte ihm nicht durch unbedachte Äußerungen weitere Munition für seine offensichtlich schlechte Laune liefern.
Hinter Engeln steuerte Lukas den außerhalb der Ortschaft gelegenen Bahnhof an. »Sind Sie sauer, dass Sie den Aufpasser für mich spielen müssen?«
»Wieso?«
»Sie gucken miesepetrig und sagen kein Wort.«
»Na und? Haben Sie ein Problem damit?«
»Nein. Aber irgendetwas stimmt nicht. Von Herrn Weinbrecht weiß ich, dass Sie im Grunde ein umgänglicher Mensch sind.«
»Heute eben nicht. Ich darf doch einmal schlechte Laune haben.«
»Aber die lassen Sie bitte nicht an mir aus.«
»Halten Sie sich einfach raus, Herr Dux. Okay?« An Beyers sehnigem Hals traten die Adern wie Kordelschnüre hervor.
»Hat es was mit mir zu tun?«
»Nein. Privatsache. Geht Sie nichts an.«
»Wie Sie wollen.« Lukas gab auf. Er durfte Beyer nicht den Eindruck vermitteln, sich einmischen zu wollen und dadurch seine angeschlagene Stimmung noch weiter zu reizen.
»Festhalten!«
Lukas vollführte eine Vollbremsung.
Geistesgegenwärtig stemmte Beyer die Beine gegen das Bodenblech des Fußraums. Mit den Händen stützte er sich instinktiv an der Konsole über dem Handschuhfach ab. Keinen Augenblick zu früh.
Lukas wollte in Höhe des Endpunktes der Brohltalbahn am Bahnhof Engeln seinen Wagen in einer Linkskurve über die Gleise steuern. Doch plötzlich tauchte, die schmale Straße aus Richtung Fußhölle den Berg heraufkommend, ein Traktor mit Anhänger auf. Er hielt das Lenkrad fest umschlossen, um ein Ausbrechen des Wagens zu verhindern. Das Auto schoss vor dem Bahnübergang in die unbefestigte Zufahrt zum Bahnhof. Mit knirschenden Reifen kam der Wagen in einer Staubwolke zum Stehen.
»Der hat doch nicht alle Nadeln auf der Tanne«, ereiferte sich Beyer und stieß die Beifahrertür auf.
»Lassen Sie es. Ist ja nichts passiert.« Lukas schaltete den Motor aus.
»Dann denken Sie mal darüber nach, was hätte passieren können.« Beyers rechter Fuß kratzte über den Kiesbelag des Wegs.
»Beruhigen Sie sich. Wir brauchen den Mann noch.«
»Wozu? Den Kerl mach ich rund.« Er hatte ein neues Ablassventil für seine miese Laune ausgemacht.
»Jetzt bleiben Sie mal geschmeidig. Das ist Kräuter-Jupp«, sagte Lukas in ruhigem Ton und legte seine Rechte auf Beyers Schulter. Er schüttelte sie ab.
»Woher wollen Sie wissen, wer das ist?«
»Passt doch alles zusammen: roter Bulldog und der überdachte Anhänger.«
»… und fährt wie eine gesengte Sau«, vollendete Beyer den Satz.
»Mit einem uralten Lanz Bulldog? Das glauben Sie doch selbst nicht.« Lukas sah ihn ernst an.
»Und wenn schon. Der ist nicht normal.«
»Was ist schon normal? Können wir in Ruhe aussteigen?«
»Natürlich.«
Sie kletterten aus dem Wagen und gingen die wenigen Schritte hinüber zur Brenker Straße, Beyer vorneweg.
»Wieso kennen Sie Kräuter-Jupp nicht?«, fragte Lukas. »Er war doch im Kommissariat und wurde
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