Nemti
Sie nicht mit uns? Kein Wort der Rechtfertigung, der Verteidigung?«
Neferkarê reagierte nicht. Er wünschte sich für einen Moment die göttliche Macht Seths. Dann würde er die Bullen nach Hetemit schicken, den Ort der Vernichtung im Jenseits.
»Es ist sinnlos. Der redet nicht. Wir brechen ab. Kümmern Sie sich um den Haftbefehl, Herr Weinbrecht.«
Der Oberbulle beorderte einen Lakaien herbei, der ihn in die Zelle bringen sollte.
*
Unruhig durchschritt der Meister zum wiederholten Mal sein Wohnzimmer. Er hatte die Vorbereitungen für die Zeremonie im Tempelraum abgeschlossen. Wieder warf er einen Blick auf die Wanduhr. Die Zeiger wanderten unaufhaltsam weiter, der Zeitpunkt des Rituals rückte näher. Wo blieb Neferkarê mit dem Blut? Nervös rieb er die Handflächen gegeneinander.
Er öffnete die Haustür und lauschte auf Geräusche, die Neferkarês Heimkehr ankündigten. Doch außer dem Gebell der beiden Dackel des Nachbarn nahm er nichts wahr. Die Zeit rannte unerbittlich weiter.
Seine Gedanken gaukelten ihm vor, was alles passiert sein könnte. Möglicherweise hatte sein Wagen eine Panne. Aber das schloss er aus, denn er hätte angerufen. An den schlimmsten Fall mochte er gar nicht denken. Nein, sie hatten ihn nicht geschnappt. Das durfte nicht sein.
Drei qualvolle Stunden vergingen. Der Meister lief aufgeregt im Vorraum des Tempels hin und her. Bald würde die Nacht hereinbrechen. Diesem Zeitpunkt sah er mit großem Unbehagen entgegen. Neferkarê hatte sich noch immer nicht gemeldet. Er beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Ein letztes Mal ging er nach oben und trat vor das Haus. Neferkarê hatte jämmerlich versagt. Ihn im Stich gelassen. Zorn stieg in ihm auf. Er, der Maître de la sagesse, war gezwungen, selbst Hand anzulegen. Eine unwürdige Tätigkeit, über die er sich erhaben fühlte.
Sein Blick schweifte über das Firmament und blieb am Großen Wagen hängen. Ehrfurchtsvoll verbeugte er sich. »Göttlicher, du bekommst, was du begehrst.«
Nemti stand knapp über dem Horizont und war kaum noch zu erkennen.
Er ging durch den Vorgarten. Sein Blick fiel auf das erleuchtete Fenster im Obergeschoss. Edith, seine Schwiegertochter, hatte es sich anscheinend in ihrem Wohnzimmer gemütlich gemacht. Kurzerhand beschloss er, dass sie die Ehre haben sollte, ihr Blut für den Auserwählten zu spenden.
Zurück in seiner Wohnung suchte er nach dem zweiten Elektroschocker. Er konnte ihn nicht finden. Aufgeregt lief er umher und trat zornig gegen den Schirmständer. Dieser schlug gegen den Garderobenschrank und zerbrach. Der Garderobenschrank, dort hatte er noch nicht nachgesehen. Eilig durchwühlte er die Schubladen, bis er ihn endlich in Händen hielt. Mit einem Fuß schob er die Keramikscherben beiseite und steckte den Schocker in die Tasche. Lautstark polternd stieg er die Stufen hinauf.
»Edith, mach sofort auf und koch Kaffee.« Er schlug mehrmals mit der Faust gegen die Tür. Er wusste, dass sie gehorchen würde. Zaghaft öffnete sie und er trat die Tür auf. Mit festen Schritten stapfte er hinein. Edith rieb sich den Kopf.
»Los, ich will Kaffee. Meiner ist alle. Du dämliche Kuh hast vergessen, mir welchen mitzubringen.«
»Tut mir schrecklich leid. Verzeih mir. Ich besorge dir morgen sofort neuen. Mach es dir im Wohnzimmer gemütlich.«
Er setzte sich nicht. Fieberhaft überlegte er, wie er an ihr Blut kommen könnte. Schließlich hatte er es noch nie selbst machen müssen. Es sollte möglichst viel sein. Eine Idee schoss ihm durch den Kopf.
Der Meister nahm den Elektroschocker in die Hand. Düster dreinblickend schlich er zu ihr hinüber. Edith wandte ihm den Rücken zu und betätigte den Schalter der Kaffeemaschine.
Sie drehte sich um und stieß einen spitzen Schrei aus. »Ich habe dich nicht kommen hören«, entschuldigte sie sich. »Möchtest du etwas zum Kaffee essen, vielleicht Gebäck?«
Er trat schnell einen Schritt vor und packte sie. Erneut schrie Edith auf. Er ließ ihr keine Chance zur Gegenwehr und drückte ihr den Schocker ins Genick. Bewusstlos fiel sie zu Boden. Er schaltete die Kaffeemaschine aus. Im Putzschrank suchte er nach zwei großen Müllsäcken und stopfte sie in die Hosentaschen. Kordel und Stricke befanden sich im Keller.
Er griff Edith unter die Schultern und schleifte sie die Treppe hinunter. Unten ließ er den leblosen Körper einfach los. Er setzte sich auf die Stufe und verschnaufte. Sein Puls raste vor Anstrengung. Er überzeugte
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