Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
einer Sekunde gefrieren lassen, durchzucken mich. Ich sehe Shirleys braune Augen aufblitzen, höre ihre Stimme, die sich vor Wut überschlägt, und plötzlich spüre ich, wie kühl der Wind ist, der mich hier draußen umweht. Eine dicke graublaue Wolke zieht so schnell vorbei, dass sie den Mond nur für einen kurzen Augenblick verhängt, bevor sie ihn und seinen seltsam silbrigen Schein wieder freigibt. Ein Schaudern durchfährt mich.
Schnell wende ich mich ab, betrete mein Wohnzimmer und ziehe die Terrassentür hinter mir zu.
Stille.
Dann ein Piepen, das mich zusammenschrecken lässt.
Ich brauche einen Moment, bis mir klar wird, dass ich eine SMS bekommen habe. Diesen Ton höre ich nur sehr selten. Randy macht sich die Mühe des Tippens nicht, und auch sonst schreibt mir eigentlich niemand. Ich nehme das Handy vom Klavier und lese die Nachricht. Zucke erneut zusammen, als ich realisiere, von wem sie ist.
Hallo Kollege!
Schau doch mal aus Deinem Fenster, wenn Du noch wach bist. Sieht der Mond für Dich auch silbern aus, oder hatte ich zu viel Rotwein zum Abendessen? Ich freue mich auf morgen, Ben.
Keine Schüchternheiten mehr, Du hast es versprochen.
Träum süß! Sarah
Verdutzt starre ich auf das Display. Lese ihre Zeilen immer wieder, bis die Anspannung von mir fällt und ich mir meines Lächelns bewusst werde. Nur einen Moment später machen sich meine Finger selbständig.
Hallo Kollegin!
Ja, ich bin noch wach. Und ja, ich freue mich auch auf morgen. Werde auf jeden Fall versuchen, mein Versprechen zu halten und mir keine weitere Blöße zu geben. Schlaf gut! *Ben*
PS: Ob Du zu viel Rotwein hattest, weiß ich nicht, aber es ist eindeutig ein Silbermond!
***
Als sich am nächsten Morgen das stählerne Tor zum Hinterhof des Aufnahme-Studios öffnet und mir die Durchfahrt gewährt, ertönt ein Hupen hinter mir.
Ich schaue in den Rückspiegel und erkenne Sarah, die mir aus einem roten Cayenne zuwinkt. Das Auto wirkt zu mächtig für das zierliche Persönchen, das sie ist. Für einen kurzen Moment wundert es mich, dass sie überhaupt selbst fährt. Andererseits würde ein Chauffeur nicht zu ihr passen. Wir parken nebeneinander. Kaum habe ich die Tür meines Wagens geöffnet, schlägt mir die Hitze entgegen.
»Puh!«, ruft Sarah im selben Moment. »An Tagen wie diesen sehne ich mich nach dem milden Sommer Englands.« Sie lacht. »Guten Morgen, Ben.«
»Guten Morgen«, gebe ich zurück und schließe meinen alten Mercedes ab, während Sarah ihren Cayenne per Knopfdruck verriegelt.
»Hast du gut geschlafen?«, fragt sie.
»Ähm … ja. Bis der Wecker klingelte.«
Sarah lacht. »Ja, diese Wecker …«
So habe ich es nicht gemeint, aber ich lasse es dabei bewenden. Sie kann schließlich nicht wissen, wie schlecht ich schlafe. An diesem Morgen habe ich den Klang meines Weckers zum ersten Mal seit vier Jahren gehört. Aus einem tiefen, traumlosen Schlaf aufgeschreckt, hatte ich einige Sekunden lang vergeblich versucht, das fremde Geräusch zuzuordnen.
»Und du? Wie war dein Morgen bisher?«, frage ich vorsichtig, während wir nebeneinander den Parkplatz überqueren und auf die Eingangstür des Studios zusteuern. Sarah blickt zu mir auf und hakt ihren Arm unter meinen. Die Selbstverständlichkeit ihrer Geste überrumpelt mich, doch ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen.
Keine Schüchternheiten
, erinnere ich mich in Gedanken.
Sarah schürzt die Lippen. »Hm, lass mal überlegen. Ich bin aufgestanden, habe mich fertig gemacht. Dann meine kleine Tochter geweckt und ihr beim Anziehen geholfen. Dabei musste ich mir die Highlights der gestrigen Geburtstagsparty anhören. Dann haben wir gemeinsam mit Alberta gefrühstückt. Das ist unsere liebe Nanny. Danach musste ich sie noch einmal komplett umziehen – also Josie, nicht Alberta –, weil ihr Erdnussbuttertoast mit der beschmierten Seite voraus auf ihr Kleid gefallen war. Dann haben wir ihren Daddy angerufen, um ihm einen schönen Abend in Paris zu wünschen. Anschließend wollte Josie noch etwas trinken. Danach musste ich mich selbst noch einmal umziehen, weil sie beim Trinken plötzlich niesen musste.«
Sarah lacht und zuckt mit den Schultern. »Also, du siehst: Mein Morgen war perfekt bisher. Der ganz normale Wahnsinn. Und wir haben einen Entschluss gefasst: Ab morgen frühstücken wir einfach im Pyjama und ziehen uns danach erst an.«
»Ja, klingt durchaus sinnvoll«, bestätige ich mit einem Schmunzeln und öffne die Tür zum Studio. Mit
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