Neobooks - Dreck muss weg!
keinen blassen Schimmer. Lisbeth besaß einen gepflegten Mercedes Benz, Baujahr 90 , offenbar ein Garagenwagen, und eine Vespa GTS 300 Super. Was sie nicht besaß, war ein Führerschein, Bodo hatte das bereits überprüft. Sie hatte größten Wert auf Markenkleidung namhafter Designer gelegt, sah immer aus wie aus der
Vogue
gepellt. Nach dem Urteil der Damen Elli und Frida aber war Lisbeth wohl ihrem Alter nach zu sexy gestylt, wenn Kalle das richtig kapiert hatte. Ihre Schuhe ließ sie bei einem Schuhmachermeister in der Poolstraße nach Maß anfertigen. Sie buchte Podologin und Friseurin über den Service der Seniorenresidenz, und es wurde behauptet, dass Lisbeth Hayenga alle paar Monate zu einer Heilpraktikerin ging, die ihr die Lippen aufspritzte. Das zumindest war kein bloßes Geplapper. Eigentlich war nichts wirklich Besonderes an Lisbeth Hayenga und der Fassade, hinter der sie sich verschanzt hatte. Viele Menschen meinten, sie müssten großes Kino spielen, statt ihr Leben zu leben. Allerdings, die wenigsten von ihnen hatten das im Alter von 80 Jahren immer noch nötig. Kalles eigene Antiliebesgeschichten waren höchstens fürs Nachtprogramm geeignet. Dann saßen die Trauerklöße, die nicht schlafen konnten, vor der Glotze und zogen sich Schicksale rein, die noch beschissener waren als ihre eigenen. Und wer tröstete Kalle? Unter der Kersten-Miles-Brücke hatten sich die Obdachlosen auf Matratzenlagern häuslich eingerichtet. Der Bezirk Hamburg-Mitte hatte die Podeste unter der Brücke abreißen lassen, ein künstliches Bachbett angelegt und darin schwere Wackersteine verteilt. Der Zaun, den Sheriff Schreiber, der Bezirksbürgermeister, aufgestellt hatte, war wieder entfernt worden. Den Touristen, die an der Helgoländer Allee in Bussen angekarrt wurden wie anderenorts die Schweinetransporter, sollte der Anblick von Verwahrlosung erspart werden. Der Plan war offensichtlich gescheitert.
Hamburg ist eine weltoffene Stadt und kein Schrebergarten
war auf das Mauerwerk gesprüht worden. Dafür gab es jetzt ein blitzblankes Hightech-Chemieklo vom Bezirk spendiert. Für Obdachlose, Frauen und Kinder umsonst, Männer mussten einen Euro blechen. War das gerecht? Ungefähr fünfundzwanzig wilde Gestalten und mindestens so viele Hunde hatten es sich in ihrem Open-Air-Wohnzimmer gemütlich gemacht. Da war er wieder, der Typ aus der U-Bahn. Er saß im Schneidersitz auf den Pflastersteinen, neben ihm lehnte ein Mädchen, das unter Schminke und Piercings kaum älter als Eliza sein mochte. Jetzt erinnerte sich Kalle, wer das war, Stefano da Silva – das war Stefano da Silva, der bei der toten Lisbeth Hayenga aufgegriffen worden war. Den Bart hatte er sich abrasiert, die Haare waren kurz geschoren.
»Hey«, rief Kalle und blieb stehen, »ist das dein Hund?« Er zeigte auf einen Mischling, der nicht weit von Stefanos Platz auf einer Wolldecke lag und an einem Knochen nagte.
Stefano schien durch Kalle hindurchzusehen. Ohne Zweifel, der Junge war nicht älter als 16 . Seine Hände waren feingliedrig und gepflegt, kein Dreck unter den Fingernägeln, keine Schwielen. Solche Hände waren nicht vom Leben auf der Straße gezeichnet.
»Die Bullen haben Stefanos Hund auf dem Gewissen. Peng!«, sagte das Mädchen.
»Das tut mir sehr leid.« Keine Floskel, Kalle meinte es genau so, wie er es gesagt hatte. Stefano und sein Hund – eine neue Folge aus der Serie
Der Polizist, dein Feind und Frustschieber.
Über zwölf Stunden war Stefano in Untersuchungshaft gewesen. Das konnte richtig fett Ärger geben.
[home]
Kapitel 26
Hamburg-Winterhude, Polizeipräsidium
E in Wunder war geschehen. Nach einem guten halben Jahr ging die Uhr im Besprechungsraum endlich wieder und auch noch richtig.
»Hab ’ne Batterie spendiert«, sagte Jette, die bereits auf Kalles Platz saß.
»Wäre nicht nötig gewesen. In der Materialausgabe gibt es Batterien umsonst.«
»Ach, tatsächlich?« Jette schlug die Beine übereinander, wippte mit dem Fuß.
Kalle ballte die Faust in der Hosentasche. Nicht aufregen, cool bleiben. Frauen kommen von der Venus, dafür können sie nichts. Gesa war offenbar auch eine Immigrantin, die sich mit guten irdischen Umgangsformen nicht auskannte. Gleich heute Morgen beim Espresso hatte er eine Nachricht auf ihrer Mailbox hinterlassen. Seitdem war Stunde um Stunde vergangen. Er wartete auf ihren Rückruf, schreckte hoch, wenn das Handy klingelte, und war zu Tode enttäuscht, weil sie es nicht war. Er war ein Versager.
Weitere Kostenlose Bücher