Neobooks - Dreck muss weg!
Hauptbahnhof angekommen. Max Goldt hatte mal geschrieben:
Der Bahnhof von Emden braucht sich nicht hinter den Bahnhöfen von Stuttgart oder Leipzig zu verstecken. Nett wäre es, wenn er es trotzdem täte.
Es war ein potthässlicher Bau, trotzdem war Marga froh, wieder zu Hause zu sein, als sie über den betonierten Bahnhofsvorplatz lief. In der Kiss-and-ride-Zone lehnte Joki an seinem blauen Passat und aß. Er winkte Marga zu. Eine rosa Krabbe floh von seinem Brötchen und entkam Jokis geöffnetem Mund nur um Haaresbreite. Nackt, totgekocht, aber frei.
»Na, mien Wicht, da biste ja wer?« Er schubste sie zur Begrüßung mit dem Ellbogen an, weil ihm noch Reste seines Snacks zwischen den Fingern klebten. Marga stieg ein, während Joki sich mit seinem Taschentuch die Hände säuberte. »Pass up! Setz dich nicht drauf.« Auf dem Sitz lag noch ein Fischbrötchen. »Von der Bude am Hafentor, ganz frisch. Hau rein. Wir müssen zur Beerdigung. Um vierzehn Uhr ist die Trauerfeier für die Neehuis.« Er trat aufs Gas.
*
Pewsum, Ostfriesland
Die Glocken in Pewsum läuteten eindringlich und monoton und mindestens seit fünfzehn Minuten. Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt. Das volle Haus würde den Pastor freuen. Und vielleicht auch Theda Neehuis, aber die sagte nichts mehr. Marga und Joki drängten sich in den Gang vor der Sakristei und sahen aus wie zwei Sprenkel Konfetti in einem schweigenden schwarzen Meer. Ab und an ein Räuspern oder ein Scharren der polierten Schuhe, ansonsten war es still. Und sehr befangen. Der Mord waberte durch das Kirchenschiff und legte sich wie faulige Plaque auf die alten Steine.
»Da vorn sind die Rohdens«, wisperte Marga.
Joki grunzte, versuchte zu flüstern, was ihm jedoch misslang. »Übrigens ist Frau Lorei heute Morgen aus dem Krankenhaus entlassen worden. Und zwar nach Hause. Es besteht keine Fluchtgefahr, und es gibt keine weiteren Beweise, dass sie Theda Neehuis außer den untergejubelten Tabletten irgendwas angetan hat. Ihr Anwalt hat ganz schön Druck gemacht, mit allem Pipapo. Vernommen werden darf sie nu auch erst nach vollständiger Genesung.«
»Was? Und das sagst du mir erst jetzt?« Marga wurde laut. Eine Frau neben Marga bekam einen spitzen Mund. Die Orgel setzte ein, der Pastor schritt würdig durch den Mittelgang. Die Organistin ließ die Pfeifen sprechen; Joki war um Antwort bemüht, kam aber nicht gegen das monumentale Orgelspiel an.
»Ich muss doch bitten.« Die Frau mit dem spitzen Mund machte ein Gesicht, als hätte Joki nach dem Klingelbeutel gegrapscht. Marga drängelte sich durch die Reihen und stapfte in Richtung Ausgang, Joki im Humpelgang hinter ihr her.
»Mensch, Margarethe. Da kann ich doch nix für, dass der Staatsanwalt die Lorei entlassen hat. Da kommt sowieso noch was hinterher wegen der ollen Scheibe von der Teeküchentür.« Sein Gesicht war schmerzverzerrt, der hastige Krebsgang in der Kirche war gar nichts für sein Knie gewesen. Die Orgel verstummte, der Pastor ergriff das Wort, und Marga war froh, die bedrückende Atmosphäre hinter sich zu lassen. Dafür meldete sich ihre Galle.
»Eine Überraschung war das nu aber wirklich nicht. Der dringende Tatverdacht war doch gar nicht haltbar. Außerdem mussten wir nach dem Unfall besonders vorsichtig mit der Sache umgehen. Harm hat auch für die anstehende Vernehmung der Lorei höchste Sensibilität gefordert.« Joki lehnte sich gegen den Stamm einer Linde.
Marga brodelte. So ein Mist. Dabei hatte sie Annette Lorei innerlich ganz oben auf dem Zettel. Joki scheinbar nicht.
»Die Lorei mach der Neehuis was in den Tee getan haben, aber umgebracht?« Er rieb sich das Genick. »Und das Opfer aus Hamburg passt da auch gar nicht ins Schema.«
Marga drehte sich zu ihm um. »Nee. Das Opfer in Hamburg spielt in einer ganz eigenen Liga. Das konsumiert Haschisch im Seniorenheim und hat eine nachträglich eingebaute Sicherheitstür zu ihrer Wohnung. Und ihr Pfleger, der ihr zur Hand ging und höchstwahrscheinlich auch ihr Dealer war, vermittelt außerdem noch kleine Jungs an große Kerle.« Marga bekam rote Flecken am Hals. »Und das alles in einem Schuppen, in dem du wahlweise Weichspüler oder ’nen falschen Franzosen bekommst. Da passt unsere Theda auch nicht ins Ambiente. Mann, Joki, ich bin mir sicher, dass der Täter hier zu finden ist, in ihrem direkten Umfeld. Das war eine Beziehungstat.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe.
Joki schien nachdenklich und schwieg. Die Orgel hatte ihren letzten
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