Neobooks - Dreck muss weg!
Jeden Tag ein bisschen mehr. Um 15 . 35 Uhr, also in nur anderthalb Stunden, würde sie in Berlin Spandau ankommen und wehe, Jay würde nicht pünktlich sein. Dann … na, was dann, Kalle? Es gab Dinge, die konnte er nicht wiedergutmachen. Dazu gehörte der zermürbende Stress mit Jay. Sie war krank, sie musste Tabletten nehmen, sie war unberechenbar – und dennoch sah das Jugendamt kein Problem darin, dass Eliza ihre Mutter besuchte. Ihr Psychiater habe bescheinigt, Jay Bärwolff sei medikamentös gut eingestellt, und Elizas Besuch würde Jays Zustand weiter stabilisieren. Kalle musste sich damit abfinden, Punkt. Eliza wollte unbedingt allein fahren. Sie sei schließlich kein Baby mehr. Ach ja. Kalle hatte also seine Krabbe in die Obhut eines Zugbegleiters der Deutschen Bahn übergeben. Seit Tagen hatte Emma genörgelt. Warum er Eliza erlaube, nach Berlin zu reisen. Mit einem Buch hatte sie vor Kalles Nase herumgefuchtelt.
Ungeklärte Mordfälle – wenn aus Opfern Aktenleichen werden.
Und ihm einen Vortrag gehalten über einen Internisten aus München, der sich vor zwanzig Jahren an seiner Stieftochter vergangen habe. Bei der Obduktion seien damals marginale Fehler gemacht worden. Die Leiche des toten Mädchens sei ausgegraben worden. Ihre Geschlechtsteile seien herausgeschnitten gewesen. Und so weiter. Der Internist sei bis heute nicht rechtskräftig verurteilt, weil unser Staat die Täter schütze und die Opfer verrate. Emma hatte sich in Rage geredet, und Kalle war schummrig vor Augen geworden. Dann folgte Streit, ein Wort gab das andere, und zum ersten Mal in seinem Leben bekam er von Emma eine gescheuert. Die Nerven lagen blank. Seine, weil er sich des Gefühls nicht erwehren konnte, dass er als Chefermittler der SOKO Hayenga überfordert war und Täter wegen seiner Inkompetenz freien Auslauf genießen konnten. Aber auch Emmas Nerven schienen nicht in Hochform zu sein. Ihr Hass auf Männer brach von Zeit zu Zeit aus ihr heraus wie ein bissiger Pitbull, den sie von der Leine gelassen hatte. Kalle hätte ihr nicht von
My Lord,
dem Typ aus Facebook, erzählen dürfen und schon überhaupt nicht von dem ollen Blonsky in seinem Oldtimerschlitten. Den Blonsky kannte Emma, den hatte sie noch nie gemocht, der passte perfekt in ihr Feindbild. Seit diesem Abend, der entspannt bei Bier und schwäbischen Käsespätzle in der Bärwolffschen Küche begonnen und mit einem Generalverdacht auf Kalles Geschlechtsgenossen geendet hatte, hing der Haussegen am Galgen. Für Emma waren alle Männer, die auch nur eine Schuppe auf den Schultern ihrer dunklen Sakkos zur Schau trugen, potenziell pädophil. Emma und die Schuppen des Blonsky. Das Thema entwickelte sich zum Thriller. Und der Zugbegleiter des Intercitys? Normalerweise wäre Kalle nie im Leben aufgefallen, dass der Schuppen hatte. Was, wenn Emma recht haben sollte? Dann würde er ihn erschießen. Kalle sah auf die Uhr. Am liebsten würde er sich aufs Ohr hauen. Er zog das Handy aus der Brusttasche. Auf der Mailbox war keine Nachricht. Das Handy klingelte prompt. »Was gibt es, Tinta?«
»Schöne Grüße von Marga. Soll dir von ihr bestellen, dass Markus Hottenberg angerufen hat. Bei ihm wartet eine Zeugin, die behauptet, sie habe die Hayenga am Sonntag – dem Tag ihres Verschwindens – in Begleitung eines Jungen gesehen. Der soll zur Jugendgruppe von Markus Hottenberg gehören.«
»Name?«
»Weiß ich nicht.«
Na wunderbar. Tinta schien beschlossen zu haben, nur für Dienst nach Vorschrift bezahlt zu werden.
»Hast du mir die Adresse von Gesa Clasen rausgesucht?«
Kalle vernahm ein eigentümliches
Tztztz
in der Leitung. Möglich, dass die Verbindung nur suboptimal war …
»Ihr seid fast Nachbarn. Schätze mal, da liegt höchstens ein schlapper Kilometer ganz heißer Föhn zwischen dir und ihr. Erichstraße, St. Pauli. Geht von der Davidstraße ab.«
*
Hamburg-Neustadt, Kohlhöfen
Als Kalle in der Jugendgruppe eintraf, saß ein Pärchen auf dem Sofa und knutschte. Erst als Kalle sich laut räusperte und sich vorstellte, flatterten die Turteltäubchen auseinander. Sie sei rein zufällig hier, betonte die Göre mit glamourgrünem Augenaufschlag. Bei Radio Hamburg habe sie gehört, Zeugen zum Mordfall Hayenga werden gebeten, sich bei der Polizei zu melden. Sie ziehe ihre Aussage aber zurück. Aus Eifersucht habe sie Quatsch erzählt. Sie drückte ihrem verdutzten Freund einen Zungenkuss in den Hals.
»Wo ist die versteckte Kamera?« Kalle kochte.
»Hä?
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