Neobooks - Dreck muss weg!
haben würde, darauf wäre nicht mal Emma gekommen. Und die hatte ihm schon einiges auf den Kopf zugesagt, worauf er alles andere als stolz war. Noch einen Moment verharrte er in seiner Deckung, dann schaute er wieder um die Mauerecke. Die Sportskanonen ließen ein Auto vorbei und trabten über die Davidstraße zur Elbe hinunter. Kalle rollerte hinterher, immer darauf bedacht, ausreichend Abstand zu wahren. »But I try and I try. I can’t get no satisfaction.« Vorbei am Hotel
Hafen Hamburg,
über die Kersten-Miles-Brücke hinweg. Dann musste Kalle eine Pause machen, zu dicht war er den beiden auf den Fersen. Ohne Roller hätte er die Verfolgung vergessen können. Wollte er ihnen bis ans Ende der Welt hinterherjagen? Bei der Jugendherberge auf dem Stintfang verschwanden sie zwischen den Sträuchern. Okay, noch eine letzte Chance gab er sich. Vielleicht wollten sie auf der Terrasse Kaffee trinken, und Kalle könnte sich dazusetzen. »Moin, I can’t get no satisfaction!« Trotz Roller war er groggy. Selbst wenn er wollte, er konnte nicht mehr. Bei Blohm + Voss lag die Queen Mary II im Trockendock. Weiter links glitzerten die Fenster der Elbphilharmonie wie einzelne Steine eines fetten Diamanten im Sonnenlicht. Geschenk der Hamburger an ihre herzallerliebste Hansestadt. Kalles Juwel hatte sich im Bodennebel aufgelöst. Erleichtert? Enttäuscht? Auf jeden Fall aus der Puste. Sein Herz war bis zum Anschlag damit ausgelastet, sein Leben zu erhalten. Für große Gefühle war keine Kapazität mehr frei. Er schulterte den Roller und machte sich an den Abstieg zum U-Bahnsteig Landungsbrücken. Und da saßen sie. »Oh, no, no, no!« Arm in Arm auf der Mauer über dem Südhang des einzigen Weinbaugebietes, das Hamburg zu bieten hatte. Gesa hatte den Kopf auf die Schulter der anderen gelegt, die Gesa zart auf das Haar küsste. Das war kein Versehen, weder von Gesa – die saß da in voller Absicht – noch von Kalle. Auch ohne neue Brille war alles klar und deutlich. Im Osten lichtete sich die Wolkendecke, und die Sonne gab sich die Ehre, wie es sich für einen anständigen Sonntag gehörte. Die meisten Suizide waren laut Statistik nicht im trüben November zu beklagen, sondern im Sommer. Fröhliche Menschen und Bilderbuchwetter raubten Depressiven den letzten Lebenswillen. Kalle sprang so schnell er konnte die Treppe hinunter, und weg war er, bloß weg. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen. Brötchen holen für die zwei, die seine Liebe verdienten. Und Kuchen. Megavielfettkäsekuchen.
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Kapitel 41
Hamburg-Winterhude, Polizeipräsidium
»… der Steuermann hatte Matrosen am Mast und den Zahlmeister haben die Gonokokken vernascht. Aber sonst waren wir bei bester Gesundheit. Aloha heja he. Aloha …«
Tinta schob Kalle die Kopfhörer von den Ohren und lauschte. »Achim Reichel hat’s drauf. Frag ihn doch, ob er mit dir zusammen beim Eurovision Song Contest singen will. Dann bleibt dir der letzte Platz erspart.«
Kalle schaltete den MP 3 -Player aus und versenkte ihn in seiner Schreibtischschublade. »Was liegt an?«
»Wusstest du, dass Guntbert bei den Bürgerschaftswahlen für die FDP angetreten ist? Er stand auf Listenplatz 1 in unserem Wahlkreis. Ich hab vielleicht blöd geguckt.«
»Und, hast du ihn gewählt?«
»Bist du bekloppt? Natürlich nicht!«
»Ich hab alles durchgestrichen aus Protest.«
»Tolle Aktion, Kalle. Das hättest du dir auch sparen können.«
»Hab ich aber nicht.«
Tinta tippte sich an die Stirn und setzte sich Kalle gegenüber. Sie zog mehrere Blätter aus der grünen Mappe, hielt sie zwischen Daumen und Mittelfinger hoch, als seien sie mit Bazillen verseucht.
»Was ist das?«
»Das ist das Protokoll über den Termin zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung. Gläubiger: Lisbeth Hayenga. Schuldner: Fritz Flemming, wohnhaft am Schwanenwik. Feinste Adresse an der Alster.«
»Melderegister hat Bodo schon gecheckt. Da wohnt Flemming nicht mehr. Wenn das so weitergeht, saufen wir mit den Ermittlungen ab.«
Tinta nickte. »Wäre blöd für dich, ich weiß. Also, was haben wir noch. Beizutreibende Gesamtforderung: 25000 Euro, Vollstreckungsbescheid Aktenzeichen 0815 .«
Kalle stieß einen langgezogenen Pfiff aus. Tintas rotlackierter Fingernagel sauste über die Zeilen. »Hierauf versicherte der erschienene Schuldner an Eides statt, dass er die von ihm verlangten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht hat. Anlage: Vermögensverzeichnis.«
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