Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
der Lehrer die Augen und sah Harmut ratlos an.
»Ich kenne dich«, röchelte er schließlich. Hartmut betrachtete das bleiche Gesicht. Überall klebte Blut. Blut, das in mehreren Schichten übereinander bereits eingetrocknet war. Wie lange litt der alte Mann schon?
Walter näherte sich scheu und sah sich unruhig nach allen Seiten um.
»Sag niemandem, dass du mich kennst.« Theophils Worte klangen gedämpft. Bei jedem Wort pfiffen seine Lungen, und neues Blut quoll aus seinem Mund.
»Wie kann ich Euch helfen?«, fragte Hartmut, und seine sonst so donnernde Stimme klang nun sanft und mitfühlend.
»Bring dich in Sicherheit, Junge, und lass mich sterben.«
»Es ist niemand hier, wir könnten Euch wegbringen«, sagte Walter, kühner als er sich fühlte.
Theophil schlug die Augen auf. Er musterte Walter forschend. Walter war froh, dass er nicht zu Theophils Schülern gezählt hatte. Diesem Blick entging nichts. Dann kippte Theophils Kopf kraftlos zur Seite, und er hob schwerfällig die Hand, um auf eines der Pferde zu deuten.
»Die Taschen … bring sie nach Saulegg zu Elomer … den Stab … ans Waldtor. Es ist gefährlich … Nehmt euch in Acht.« Ehe Walter etwas darauf erwidern konnte, hörte er Schritte. Er zog Hartmut schnell fort von Theophil in eine dunkle Nische. Ein Stallknecht kam um die Ecke, um die Pferde abzuholen. Hartmut ließ ihn nicht aus den Augen, aber Walter erkannte ihn.
»Ho Strupp, lang nicht mehr gesehen!« Selbst für Hartmut sah es nun so aus, als würde Walter aus dem Dienstbotentrakt kommen.
»Ho Walter, was tust du hier?«, antwortete der Knecht.
»Ich habe doch immer und überall was zu erledigen. Du weißt schon …« Walter grinste anzüglich. »Wann sieht man dich mal wieder drunten beim Mauerwirt?«
Das Grinsen in dem Gesicht des Stallknechts wurde schmaler.
»Hab doch jetzt ’ne Braut. Sie will ’ne große Hochzeit, du weißt schon …«, sagte er tonlos.
Walter klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter und deutete auf Theophil. »Was ist mit dem Alten da?«
Strupp zuckte mit den Schultern. »Ich bring bloß die Pferde in Stall, alles andere hat mich nicht zu kümmern.« In seinen Augen stand stumme Furcht.
»Die Tiere sind ja ganz verschwitzt!«, bemerkte Walter, streichelte über den Hals eines Pferdes und fasste es am Zügel. Es war das Tier, auf das Theophil gedeutet hatte. »Ich komm mit zum Stall, dann können wir noch ein wenig plaudern«, sagte er.
»Hast eh nichts Besseres zu tun«, grinste der Stallknecht.
Durch das Klappern der Hufe konnte Hartmut dem weiteren Gespräch nicht folgen. Als der Hof leer war, schlich er noch einmal zu Theophil hinüber.
Er atmete nicht mehr.
Hartmut legte ihm seine Hand auf die Brust. »Fahr wohl«, flüsterte er, dann stand er schwerfällig auf und verließ den Burghof.
»Ich hab die Taschen und den alten Stab«, rief Walter aufgeregt.
Hartmut nickte. Er fühlte sich müde und ausgelaugt. Die Trauer über Theophils Tod lastete auf ihm und ließ sein Herz wie einen Stein in seiner Brust liegen.
Nicht, dass er den Lehrer sonderlich gut gekannt hätte. Er war ihm nur bei einigen Familienfeiern begegnet, ab und an auch unten in Waldoria. Aber Theophil war immer freundlich gewesen. Aufmerksam, väterlich. Obwohl Hartmut im Vergleich zu ihm ein ungebildeter Klotz war, der alte Mann hatte ihn dies nie spüren lassen. Ganz im Gegenteil. Womit sollte ein solch feinfühliger Mensch ein solch grauenvolles Ende verdient haben?
Das graue, blutverschmierte Gesicht Theophils verfolgte Hartmut auf Schritt und Tritt.
»Strupp hat gar nicht bemerkt, dass ich die Sachen des Lehrers nicht zu den übrigen gelegt habe, und als ich gegangen bin, habe ich sie einfach mitgenommen.« Walter kicherte. »Wollen wir nachsehen, was drin ist?«
Hartmut schüttelte den Kopf.
»Weißt du, wo Saulegg liegt oder wer Elomer ist?«, fragte Walter weiter.
Hartmut zuckte mit den Schultern, erinnerte sich dann aber doch und sagte: »Er hat es mal erwähnt. Damals, als ich ihn zufällig … das ist doch bestimmt schon zehn oder fünfzehn Jahre her, ich war unterwegs zum Markt, um Gewürze zu kaufen, da kam er mir am Nordtor entgegen. Er hat gesagt, er fährt nach Saulegg, und ich habe ihn gefragt, wo denn dieser verlassene Winkel liegen soll, und er hat gesagt … irgendwo hinter Markt Krontal.«
»Ach du liebe Zeit, da ist man ja tagelang unterwegs, kannst du hier so lange weg?« Walter wanderte in der Metzgerei auf und ab.
»Du musst da hin.«
»Ich?
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