Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neonträume: Roman (German Edition)

Neonträume: Roman (German Edition)

Titel: Neonträume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
Vom Netzwerk:
existiere, niemals existiert habe und weder auf dem nationalen noch dem internationalen Markt vertrieben werde. Außerdem behalte man sich vor, gegen derartige Veröffentlichungen wie meinen Artikel juristisch vorzugehen. Kurz, ich habe meiner Zeitung einen echten Bärendienst erwiesen, den Ruf des Magazins und Wsjeslawskis persönliches Ansehen empfindlich geschädigt. Zu guter Letzt erklärte mir Wsjeslawski noch in gutmütigem Ton, dass er mir meinen Lohn für den ganzen restlichen Monat auszahlen werde, natürlich abzüglich der vorausgezahlten Spesen. Danke. Damit bin ich unter dem Strich bei null gelandet.
    Dieser Abschnitt meiner beruflichen Karriere wäre damit also beendet. Mit den Augen eins Aidskranken betrachtet scheint mir allerdings sogar dieses Problem klein und unbedeutend.
    Mein erster Gedanke ist, sofort Vadim anzurufen und ihm zu erklären, dass ich die ganze Geschichte im Internet verbreiten werde, oder einen Brief an seine Chefs schreibe, oder ihm eins auf die Fresse haue. Aber was würde das ändern?
    Soll ich Lena anrufen und ihr eine Szene machen? So, wie es gerade zwischen uns steht, bringt das auch nichts. Anrufen muss ich sie allerdings, aber aus einem anderen Grund. Ach ja, der Arzt…
    Ich suche in meinem Handy die Nummer, stelle die Verbindung her.
    » Ja?«, klingt eine heisere Stimme an mein Ohr.
    » Guten Tag, Andrej Mirkin mein Name, ich bin ein Freund von Anton Panin. Ich habe da ein kleines Problem…«
    » Ja bitte, ich höre. Worum geht es?«
    » Also, die Sache ist so, ich muss einen Schwangerschaftstest machen, das heißt, natürlich nicht ich, sondern meine Freundin, und, äh, dieser Test, also ich bräuchte, ich meine, sie muss…«
    » Alles klar. Schreiben Sie mir eine E-Mail mit den nötigen Informationen, ich rufe zurück.«
    Er gibt mir seine Adresse und ich schreibe ihm, wie ich mir die Sache im Einzelnen vorstelle. Dann rufe ich Anton an, berichte ihm von dem Gespräch und sage, ich sei jetzt bereit für unseren Auftritt. Er redet mir noch eine Weile gut zu, dann verabreden wir uns für den Abend.
    Kurz danach ruft Vera aus der Redaktion an. Sie erzählt, das ganze Büro diskutiere lebhaft über meine Entlassung, und es tue ihr so schrecklich leid, und sie würde sofort zu mir kommen, um mir in dieser schwierigen Situation zur Seite zu stehen, und sie überlege schon die ganze Zeit, wie sie mir helfen könne, eine neue Arbeit zu finden. Ich antworte sowas wie » Ja, ja, klasse« und so weiter und würge das Gespräch ab, bevor sie noch mehr Blödsinn redet. Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, mit fremden Leuten meine persönlichen Probleme zu besprechen. Und schon gar nicht mit einer Frau, die scharf auf mich ist und jetzt ihre Stunde gekommen sieht.
    Doktor Dima antwortet auf meinen Brief ziemlich schnell und ziemlich knapp: » Sehr heikel. Man kann nicht sicher sein, dass sie keine weitere Untersuchung machen lässt. Mein Honorar beträgt 5000. Wenn Sie bereit sind, geben Sie mir Bescheid.«
    Ein kostspieliger Doktor, das muss ich schon sagen. Aber ich habe ja keine Wahl. In einem hat er allerdings Recht: Wie geht es weiter? Wie kann man sie dazu bringen, dass sie keine weiteren Untersuchungen durchführen lässt? Soll ich zu ihr ziehen und sie rund um die Uhr bewachen? Aber wie kann ich sie von ihren Freunden und Bekannten, vor allem– von ihren Eltern abschirmen? Trotzdem, es ist die einzige Möglichkeit: Ich muss bei ihr einziehen und ihre sämtlichen Kontakte unterbinden, bis die Abtreibung stattgefunden hat.
    Am liebsten würde ich alles in eine einzige Stunde pressen: Lena anrufen– ab zum Arzt– Abtreibung. Schluss, aus. Irgendwelche Zweifel, dass das nicht in Ordnung ist, was ich da vorhabe, kommen mir nicht. Das Einzige, was mich interessiert, ist, die Sache möglichst schnell hinter mich zu bringen und anschließend noch schneller zu vergessen. So tun, als sei nichts gewesen. Da war nichts. Keine Schwangerschaft, keine Abtreibung. Ich bin mir sicher, das ist für alle das Beste. Keine gebrochenen Herzen, keine kranken Kinder, keine alleinerziehende Mutter. Das Einzige, was mich befremdet, ist die Tatsache, dass ich plötzlich Entscheidungen für einen anderen Menschen treffe– zum ersten Mal in meinem Leben. Das sieht mir eigentlich gar nicht ähnlich. Aber was bleibt mir schließlich anderes übrig?
    Außerdem ist das sowieso alles viel zu viel für einen einzelnen schwachen Menschen. Was kann ich dafür? Ich bin nicht schlimmer als die anderen.

Weitere Kostenlose Bücher