Neonträume: Roman (German Edition)
wie der letzte Kampf der Menschheit, der Untergang der Zivilisation. Für mich ist es der Kampf der verlorenen Menschlichkeit gegen das Werbebärmäßige dieser korrupten Welt schlechthin.
Endlich werden wir von den Security-Leuten getrennt. Irgendwer schreit: » Ruft die Bullen!« Ein anderer verpasst mir ein paar empfindliche Schläge in die Leber. Dann erwischt Anton mich am Kragen und zerrt mich nach draußen auf die Straße. Ich versuche mich zu wehren und brülle: » Lass mich los! Ich will diesem scheiß rosaroten Panther eins auf die Fresse geben!«
Dienstag
Die ganze Nacht quält mich Schlaflosigkeit. Ich schwitze, wälze mich im Bett, renne ständig auf die Toilette. Die seltenen Momente, in denen es mir gelingt, einzuschlafen, sind schlimmer als mein verschwitztes Wachsein. Im Traum erscheinen mir Rita mit einem Lenkrad in der Hand, Lena mit einem unnatürlich großen Bauch, Katja, gekleidet wie die Privatsekretärin eines Bonzen aus der Axe-Reklame, Wsjeslawski, der mir mit meinem kaputten Diktafon vor der Nase herumfuchtelt, der rosa Reklamebär, Anton mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck, schließlich die Krankenschwester, die mir Blut abgezapft hat. Letztere sitzt seltsamerweise auf einem Fensterbrett und hüllt sich in ihre Engelsflügel…
Gegen acht Uhr früh stehe ich auf. Im ganzen Körper spüre ich grässliche Gliederschmerzen, ich fühle mich schlapp, absolut down and out. Dabei ist heute auch noch unser Auftritt… Ich muss mich irgendwie in Gang bringen, koste es, was es wolle. Ich schlurfe zu meinem Computer, überlege kurz, ob ich mir einen Kaffee machen soll, aber allein der Gedanke versetzt meinen Magen in Aufruhr.
Bis um zehn Uhr habe ich im Internet diverse Sites durchforstet und infolgedessen fast sämtliche Anzeichen für eine fortgeschrittene Aids-Erkrankung bei mir diagnostiziert. Natürlich lässt sich für jedes einzelne dieser Anzeichen eine ganz natürliche Erklärung finden: Der weiße Belag auf der Zunge kann auch von übermäßigem Alkohol- und Nikotingenuss kommen, das Gliederreißen und Knacken in den Gelenken lässt sich auf die gestrige Prügelei zurückführen, Schlappheit und Appetitlosigkeit auf fehlenden Schlaf, die Schlaflosigkeit auf nervliche Überreiztheit. Und die Schwellung der Lymphknoten könnte daher kommen, dass ich alle paar Minuten an ihnen herumknete. Aber dass alle diese Symptome gleichzeitig auftreten, das kann doch kein Zufall sein! Außerdem schwitze ich wie ein Schwein, alle halbe Stunde renne ich unter die Dusche, und anschließend suche ich vor dem Spiegel meinen Körper nach Pigmentflecken ab. Bisher sind allerdings noch keine zu finden. Auch meine Temperatur ist normal, obwohl ich das Thermometer seit einer Dreiviertelstunde nicht mehr aus dem Mund genommen habe.
Eine weitere Stunde später weiß ich, dass die Symptome der Krankheit eigentlich nicht so schnell in Erscheinung treten. In der Regel geschieht das drei bis vier Wochen nach der Infektion, und selbst dann hat das noch gar nichts zu sagen. Ich muss das Ergebnis des Tests abwarten. Mein Problem besteht darin, dass es praktisch unmöglich ist, festzustellen, mit wem ich wann intimen Kontakt gehabt habe. Der Kreis der potentiell HIV -infizierten Frauen, mit denen ich zu tun hatte, scheint mir unüberschaubar.
Um zwölf ruft Wsjeslawski an. Um es kurz zu machen: Mein Traum, die Welt des Glamour zu verlassen, geht endlich in Erfüllung. Er hat mich rausgeschmissen. Ich bin die längste Zeit Star-Reporter beim Beobachter gewesen. Wsjeslawski ließ eine endlose Tirade über meine » haarsträubende Unzuverlässigkeit«, den » galoppierenden Qualitätsverlust« meiner Texte, mein angeblich » unterirdisches Niveau« und so weiter ab. Am Ende verstieg er sich tatsächlich so weit, das Wort » Pfuscherei« zu benutzen. Übrigens war der Grund für die Kündigung letztlich nicht die Sache mit den Bildunterzeilen und auch nicht das verpatzte Interview mit Bucharow. Der entscheidende Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war jener unselige Artikel über die Hundekosmetik. Zuerst hat sich Wsjeslawski offenbar ziemlich darüber aufgeregt, wie dämlich die Leute sind, so ein Produkt zu kaufen, aber dann hat er in Vadim Dajews Firma angerufen, um festzustellen, ob es das Zeug auch tatsächlich gibt. Es dauerte keine halbe Stunde und er hielt eine offizielle Erklärung der Pressestelle der Firma in den Händen, in der erklärt wurde, dass ein Produkt namens Doggy-M von MIORR ® nicht
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