Neonträume: Roman (German Edition)
wäre ihr plötzlich etwas Wichtiges eingefallen, setzt sie sich noch einmal auf den Stuhl neben dem Bett und beginnt in ihrer Handtasche herumzukramen.
» Hm-hm.« Ich stehe auf, recke mich und mache mich auf den Weg ins Bad, meinen Atem erfrischen und so. Auf halbem Weg schießt Lena mir eine Mörsergranate in den Rücken:
» Andrej, weißt du… es ist so schön, morgens neben dir aufzuwachen«, sagte sie versonnen, » ich wecke dich, mache dir Frühstück…«
Na und?, möchte ich sagen, stattdessen drehe ich mich um und zeige ihr mein schönstes Hollywoodlächeln.
» Ich wollte dir schon lange sagen…Das heißt…Ich wollte dich fragen…Verflixt, das ist so dumm.« Sie verbirgt das Gesicht in den Händen, dann schaut sie auf, lächelt mich an und sagt mit glänzenden Augen: » Lass uns heiraten!«
Für den Bruchteil einer Sekunde fürchte ich, die Selbstbeherrschung zu verlieren. Ich ducke mich wie ein verängstigter Kater, dem man gerade einen Eimer Wasser über den Pelz gegossen hat, aber dann fange ich mich wieder. Mein Lächeln wird noch breiter. Wieso hat sie sich eigentlich einen so denkbar unpassenden Zeitpunkt ausgesucht? Bei Rita würde mich das nicht wundern, die kommt ständig zu spät, kann stundenlang auf ihr Handydisplay starren, weil sie nicht mehr weiß, unter welchem Namen sie die Telefonnummer ihrer Maniküre abgespeichert hat. Aber die hier? Bei Lena ist immer alles komplett durchgeplant. Wahrscheinlich hat sie am Montag schon in ihrem Organisator für Freitag eingetragen: Andrej fragen wegen Heiraten. Also hat sie den Zeitpunkt absichtlich gewählt. Vielleicht hat sie mit meinem komatösen Zustand am Morgen gerechnet, um mich zu überrumpeln? Heiraten! Dabei habe ich noch nicht mal richtig die Augen aufgemacht. Was meine Lage noch zusätzlich erschwert, ist die Tatsache, dass ein nackter Mann konstitutionell nicht imstande ist, auf einen solchen Antrag etwas Vernünftiges zu antworten. Kompliziert alles! Was soll ich denn jetzt sagen? Ja? Natürlich? Wann? Warum? Oder sicherheitshalber noch mal nachfragen: Wie meinst du das? Oder richtig dick lossülzen, volle Breitseite losheucheln? Das wollte ich dir selber schon vorschlagen, Häschen, ich hab mich bloß noch nicht getraut, aber jetzt hast du es selbst angesprochen, Häschen, und wie geschickt, so geschickt, mein Häschen, dass ich gar nicht weiß, was ich sagen soll, mir fehlen einfach die Worte, mein Häschen, mein Liebling! Nein, zu viele Häschen, zu wenig Gefühl. Was mach ich jetzt bloß?
» Lena, ich…« Ich sinke auf den Fußboden nieder, schaue sie entzückt an, wackele mit dem Kopf, mit anderen Worten, benehme mich wie ein kompletter Idiot.
» Andrej! Was… was ist mit dir?« Lena kniet sich neben mich, umarmt mich und flüstert: » Was siehst du mich denn so an? Du…du siehst ja plötzlich so glücklich aus!«
Glücklich? O ja, und wie glücklich! Träum weiter. Was kommt noch? Rührend, zärtlich, erotisch? O Gott, was sag ich bloß? Ich schließe die Augen und denke hektisch nach, wie ich aus dieser Zwickmühle wieder rauskomme.
» Lena… You know… Ich wollte schon lange… Eigentlich… ääähh…«
» Pssst! Sag nichts!« Sie presst sich mit dem ganzen Körper an mich, zitternd, und ich glaube, sie schluchzt sogar. » Du bist so süß…«
O ja, und ob!
» Du kannst dir nicht vorstellen, was ich jetzt in diesem Moment fühle…«
Wenn ich dir sagen würde, was ich fühle, würdest du glatt an die Decke springen. Und lass meinen Hals los, du erwürgst mich!
» Das ist so… so schön, so wunderbar…«
Lass endlich meinen Hals los! Ich ersticke! Es wäre vielleicht ganz nützlich, jetzt ein paar Tränchen in die Augen zu zaubern. Aber wie? Man soll schnell an etwas Trauriges oder Rührendes denken, hab ich mal gehört. Eine Fernsehschnulze? Wie ich in der Schule verprügelt wurde? Ah! Ich hab doch meinen Pullover verloren, und wahrscheinlich sogar unwiederbringlich! Das ist es! Jau!
» O mein Gott, es kommt mir so vor, als hätte ich mein ganzes Leben lang auf diesen Tag gewartet, und jetzt ist er plötzlich da.« Endlich gibt Lena mich frei, schaut mir ganz tief in die Augen. » Ich liebe dich. Ich kann ohne dich nicht leben. Wenn du nicht da bist, kann ich nicht atmen. Ich fühl mich wie… wie amputiert!«
Meine Güte, die Frau ist eine Invalidin. Ich küsse sie und sage:
» Ich liebe dich. I love you.«
» Weinst du etwa?« Sie küsst meine Augen, meinen Mund, die Stirn, die Wangen.
Mein Gott,
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