Neonträume: Roman (German Edition)
In einer Dreiviertelstunde kann ich da sein, wenn nicht zu viele Staus sind.«
» Sagen wir in einer Stunde, in der Etage an der Twerskaja. Ich muss da noch jemanden treffen.«
» Schön.«
» Also dann, bis nachher.«
» Andrej…«
» Was?«
» Ich liebe dich!«
» Ich dich auch.« Ich schaue wieder zu Katja. » Sehr.«
Als ich an den Tisch zurückgehe, bin ich ein anderer Mensch. Katja telefoniert, ich lasse die Rechnung kommen. Wohin sind jetzt all die schönen Träume und innigen Gefühle? Was für ein erbärmliches Leben ist das doch, wenn man nicht einmal dazu kommt, sich richtig zu verlieben? Katja steckt ihr Telefon weg und schaut mit ihren hellen Augen zu mir auf.
» Ist etwas passiert?«
» Bei mir? Nein, nein, gar nichts. Mein Geschäftspartner hat aus Frankreich angerufen, die Verbindung war schlecht, ich bin nur zur Seite gegangen, damit ich nicht durch das ganze Restaurant schreien muss.«
» Also dann…« Sie ist aufbruchsbereit. Mir kreist immer noch das Gespräch mit Rita im Kopf herum, ich denke an das Geld, vom Geld komme ich auf Lena, und plötzlich habe ich eine Idee:
» Hör mal, Katja, am Sonntag feiert ein Bekannter von mir Geburtstag, hast du nicht Lust, mitzukommen?«
Dann erzähle ich ihr von meinem wunderbaren alten Freund Ljocha– enzyklopädisch gebildet, Gentleman, Globetrotter und Halb-Oligarch–, zähle auf, was für wahnsinnig interessante Leute sie bei der Fete treffen könnte: Schauspieler, Künstler, Sänger, bedeutende Geschäftsleute, Schriftsteller (Alkoholiker, Junkies, Hochstapler, Verrückte…). Die ganze Stadt sei scharf darauf, eingeladen zu sein, aber nur wenige seien auserwählt. Kurz und gut, ich male ihr den Abend in den wildesten Farben aus. Nach zehn Minuten Reden verspricht sie mir, darüber nachzudenken, nach fünfzehn Minuten memoriert sie, was sie am Sonntag vorhätte, und nach zwanzig Minuten sagt sie, höchstwahrscheinlich könne es bei ihr klappen.
Sofort schwebe ich wieder im siebten Himmel, gebe ein wahnwitziges Trinkgeld, schnappe mir, ich weiß auch nicht warum, Katjas Handtasche, und wir schlendern zum Ausgang.
Draußen schlage ich ihr vor, noch ein wenig zusammen spazieren zu gehen. Wir gehen den Twerskoj-Boulevard entlang. Ich würde jetzt so gerne ihre Hand halten, aber ich traue mich nicht. Stattdessen schiebe ich meine Hände in die Hosentaschen. Mein Gott, wie lächerlich ich bin in meinem ewigen Bemühen, ernst genommen zu werden. Ich scheine mir tatsächlich in die Hosen zu machen bei dem Gedanken, einer meiner Bekannten, oder auch nur irgendein fremder Passant, könnte mich dabei erwischen, wie ich die Straße entlangscharwenzele und mit einer Studentin Händchen halte. Die sogenannte öffentliche Meinung zerstört jedes Gefühl im Kern und lässt weiter nichts als » richtige« Bilder zurück. In einer Welt, in der das Substantiv » Liebe« nur in Verbindung mit dem Verb » machen« verwendet wird, muss das äußere Bild der Gefühle der aktuellen Fotoserie von Anton Lange in der Vogue entsprechen. Die Leidenschaft wird per Photoshop hinzugefügt, wie die erforderlichen Rundungen an den richtigen Stellen, die schmachtenden Gesichter, die glänzenden Augen.
Einfach seine Gefühle zu zeigen, so wie es die Menschen früher getan haben, das gilt heute als Kinderkram. Arm in Arm spazieren gehen, sich unter Bäumen küssen, Herbstblätter sammeln und dergleichen, so etwas betrachten wir heute als abartig, als pervers, als ginge es um Pädophilie. Und die Pädophilie selber, tja…
Wir spazieren den Boulevard entlang, und ich hüpfe wie ein Tennisball um Katja herum, fuchtele mit den Händen, lache, erzähle ununterbrochen Geschichten aus meiner Schulzeit in Amerika und aus meinem Studentenleben. Auf einmal rutscht mir heraus:
» Gehen wir heute ins Kino?«
» Was? Wann?«, fragt sie verdattert.
» Sagen wir um sieben? Oder um acht? Ins Puschkinski… Nein, lieber ins Oktober!«
» Und was läuft da gerade?«
» Spielt das eine Rolle?«
Katja überlegt einen Moment, dann lächelt sie mich an und sagt: » Na klar!«
Und dieses » Na klar« bringt mich endgültig um den Verstand. Kurz danach verabschieden wir uns, ich halte einen Wagen für sie an und vergesse vor Aufregung sogar, sie zu küssen, obwohl ich mich doch schon die ganze Zeit darauf gefreut habe. Sie fährt davon, ich zünde mir eine Zigarette an, nehme einen tiefen Zug und bedenke all die armen Menschen um mich herum mit einem langen, triumphierenden Blick. Und
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