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Neonträume: Roman (German Edition)

Neonträume: Roman (German Edition)

Titel: Neonträume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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Flugblätter in die Hand, auf denen die Union der rechten Kräfte dazu aufruft, eine Gay-Parade abzuhalten. Um die Aktion durchschlagkräftiger zu machen, ist das Ganze mit dem Slogan untermauert: » Steigert die Geburtenrate!« Als ich das Polytechnikum erreiche, empfange ich eine SMS aus dem Klub Das Dach:
    » Das Dach der Welt # Die Werte der Familie # DJ ’s: Duhow, nils (+drums), spirit, volodya # rsvp comfortpeople+comfortmusic=comfortdance«.
    Irgendetwas geht vor, ich spüre es. Etwas vollständig Wirres, Ungereimtes, Schräges. Nachtklubs propagieren die Werte der Familie, Mädchen, die sich in ihrem Facebook-Profil oben-ohne präsentieren, verlangen von mir, ihr reiches Innenleben zu würdigen. Die Welt ändert sich rasant. Man muss sich nur einmal umschauen. Angehörige des mittleren Managements, die früher mit ernster Miene im Raucherabteil die Vorzüge eines drei Jahre alten BMW gegenüber einem neuen Ford Focus erörterten, unterhalten sich jetzt genauso ernsthaft über den Tod Luciano Pavarottis. Schlimmer! Einmal auf dem ihnen fremden Territorium der Kultur angelangt, verdrängen die Manager die alteingesessenen Bohemiens: die kleinen Journalisten, verrückten Dichter, talentlosen Schriftsteller, erfolg- und mittellosen Maler. Mit der ihnen eigenen Energie fangen sie sogar an zu saufen wie sie, Shit zu rauchen und die abgetakelten Weiber der vertriebenen Bohemiens mit unvergleichlich größerer Hingabe und Intensität zu bumsen, als diese selbst es je gekonnt haben. Die Bohemiens wiederum siedeln, weil ihnen kein anderer Ausweg bleibt, in die verlassenen Büros über, wo sie sich als IT -Spezialisten, Werbetexter und Marketingfachleute betätigen. Am Wochenende finden sich dann alle an den einschlägigen Szenetreffs zusammen, dem Jean-Jacques, dem Coffeemania oder der Etage. Und am Ende geht es in der Kunst zu wie auf einer Tierfutterbörse, und das Geschäft versinkt im Chaos. Und beides geht den Bach runter.
    Um es mit einem Wort zu sagen: Die Welt dreht durch.
    Es folgen vier wunderbare Stunden mit Katja. Zuerst trinken wir Kaffee und kichern zusammen über die Gäste des Lokals, dann erzählt Katja, wie eine Freundin von ihr einmal bei einem Bewerbungsgespräch in einer Baufirma gefragt wurde, ob ihre Handtasche eine echte Louis Vuitton sei.
    » Und die Frage war erst gemeint«, sagt Katja. » Ist das nicht furchtbar? Das ist das Blödeste, was ich in der letzten Zeit gehört habe. Und bei dir?«
    » Bei mir?« Unrettbar und endgültig in ihren Augen versinkend, sage ich, das Blödeste, was ich in der letzten Zeit erlebt habe, sei eine Stripperin aus dem » Office« gewesen, die erzählte, es gebe nur eine Sache, worauf sie wirklich stolz sei, nämlich, dass sie einmal mit Sting gevögelt habe. » Das hat sie einem Freund von mir erzählt.«
    » Gott, wie scheußlich!«, ruft Katja.
    Es versteht sich wohl von selbst, dass ich für mich behalte, was er ihr darauf geantwortet hat: » Darf ich mal kurz die Titte anfassen, an der der große Sting geknabbert hat?«
    Wir kaufen Kinokarten, Popcorn und Chips und setzen uns in die vorletzte Reihe. Es läuft der Film Die Hitze. Katja schaut den Film an, und ich schaue Katja an. Ich benehme mich wie ein alter Perversling. Schnuppere heimlich an ihrem Haar, betrachtete ihre Beine, will sie die ganze Zeit nur abknutschen und befummeln. Mit jedem Zentimeter meiner Haut spüre ich die Wärme, die ihr Körper ausstrahlt. Ich verleihe dem Kino Oktober im Überschwang den Titel » Bestes Kino von Moskau«, dem Film Die Hitze das Prädikat » Bester Film aller Zeiten und Völker«. Mein größter Wunsch ist in diesem Moment, dass er niemals enden möge. Ich würde dem Vorführer glatt tausend Dollar dafür bezahlen, dass er den Projektor auf » Reverse« stellt. Aber das ist ja nur natürlich: Man würde jeden Preis dafür zahlen, das Glück festzuhalten.
    So sitze ich die ganze Zeit wie besoffen neben Katja, und erst als der Film schon fast zu Ende ist, erkühne ich mich, meine Hand ganz sachte auf ihr graziles Handgelenk zu legen. Sie lässt es geschehen, und diese Tatsache bringt mich zuerst nur noch mehr in Wallung, doch dann erschreckt sie mich. Was geschieht hier mit mir? Woher kommt diese Zärtlichkeit? Wir sollten uns eigentlich wild umarmen und küssen, aber ich habe Angst, sie auch nur zu berühren. Gott sei Dank, ich habe ihr keine Blumen gekauft, sie hätte mich wahrscheinlich für einen alten, verwirrten Triebtäter gehalten. Oder nicht?
    Hand in

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