Neonträume: Roman (German Edition)
betrunken, stelle ich fest. Ich hätte ihn gerne noch etwas gefragt, aber jetzt kommen die anderen zurück an den Tisch. Anton ist nicht dabei. Vadim fasst eine gut gebaute, etwa fünfundzwanzigjährige dunkelhaarige Frau um die Taille. Ich vermute, das ist die berüchtigte Natascha.
» Na warte, das kannst du dir abschminken, Kollege«, denke ich und strebe in Richtung Toiletten. Als ich an der Tanzfläche vorbeikomme, signalisiere ich Lena: fünf Minuten.
Erstaunlicherweise finde ich vor den Toiletten nicht die übliche Menschenansammlung. Ein paar Mädchen stehen bei den Waschbecken und halten die Hände unter den Wasserhahn, während sie ganz genau aufpassen, wer alles rein- und rausgeht.
» Anton, mach auf!« Ich rüttele an der Tür zum Männerklo. » Ich bin’s!«
Stille.
» He, Anton, bist du taub? Mach auf!«, flüstere ich eisig.
» Ich komm ja schon, ich hab nix«, krächzt es hinter der Tür. Die Mädchen kichern.
Die Tür klappt auf und knallt mir fast gegen die Stirn.
» Du mieser Geizkragen«, zische ich Anton an. Auf seiner Stirn stehen ein paar Schweißtropfen, seine Augen glänzen wie kleine Weihnachtskugeln. Von wegen ich hab nix!
» Scher dich zum Teufel!« Anton schiebt mich mit der einen Hand zur Seite, mit der anderen winkt er den Mädchen zu.
» Der gute Anton, lässt seine Freunde niemals hängen!«
» Selber schuld«, sagt Anton und legt mir den Arm um die Schultern. » Soll ich den ganzen Abend warten, bis du dich mit irgendwelchen Typen ausgequatscht hast?«
» Und wer hat jetzt noch was?«
Aber er hört schon nicht mehr zu.
Ich drehe ab zur Tanzfläche und hänge mich an Lena. Fröhlicher werde ich davon nicht.
» Sobald wir unter Leuten sind, verlierst du sofort das Interesse an mir«, beschwert sie sich.
» Lena, was soll jetzt der Blödsinn?« Ich geb mal wieder den Unschuldigen. » Ich hatte mit Vadim etwas Geschäftliches zu besprechen.«
» Und, erfolgreich?«
» Klar. Wir reden nachher noch weiter.«
» Lass uns nach Hause fahren.«
» Jetzt schon? Das ist nicht sehr höflich, dein Freund hat doch Geburtstag. Bleiben wir noch ein bisschen.«
» Meinetwegen«, antwortet sie traurig.
Die Runde hat sich inzwischen merklich gelichtet. Vadim sitzt zwischen zwei Mädchen und trinkt Whisky, seine Haare sind zerzaust, seine Augen trüb. Ihm gegenüber hockt ein Typ in einem T-Shirt, auf dem eine Cannabispflanze aufgedruckt ist. Der Typ wackelt mit dem Kopf und brüllt auf Vadim ein:
» Das ist so konstruiert, verstehst du nicht? Ob du das willst oder nicht, so funktioniert das nun mal!«
» Ich bitte dich, Borja! Bei euch in Kiew funktioniert das vielleicht so, weil es da mehr vertrottelte Spießer gibt. Aber das geht vorbei. Man darf nicht mit dem Strom schwimmen, man muss sich auf der Überholspur bewegen, kapierst du das?« Vadim tippt dem Typen mit dem Zeigefinger auf die Stirn. » Man kann nicht alles in Geschenkpapier einwickeln. Als ehemaliger Werber sage ich dir: Ich glaube nicht daran, dass man mit ein und derselben Glamoursoße mal lausigen italienischen Schaumwein und ein anderes Mal lettische Sprotten verkaufen kann.«
Die Mädchen kreischen vor Lachen.
» Und ich sage: Doch, das geht!«
» Und wie soll das gehen, du besoffenes Rindvieh?«
» Es müssen eben Glamour-Sprotten sein.« Der Typ schaut mit betrunkenen Augen in die Runde und grinst.
Die Mädchen kichern wieder. Vadim setzt sich auf die Sessellehne und zündet sich eine Zigarette an. Dann fällt sein Blick auf mich und seine Augen leuchten auf.
» Da sitzt jemand, der unser Problem lösen kann!«, ruft er und versetzt Borja einen heftigen Schlag auf die Schulter. » Sieh mal da, Alter, das ist unser Mann! Kolumnist beim Beobachter , der schreibt ständig über diesen Rotz.«
» Super, Alter, echt super!« Ich nicke ironisch. » Jemand, der sein Geld mit kontaminierter Hautcreme verdient, nennt die Resultate schöpferischer Arbeit Rotz! Hochinteressant! Stand das kürzlich in der Zeitung? Da muss ich wohl was verpasst haben.«
» Oh, verzeih mir, Bruder!« Vadim reckt die Arme gen Himmel. » Ich bin betrunken. Genau das wollte ich sagen: einer, der schöpferische Arbeit leistet! Natürlich!«
Schon wieder einer, der mich Bruder nennt. Dasselbe Krankheitsbild. Das wird bald epidemisch.
» Aber sag doch mal, Andrej, was ist das Geilste heutzutage«, wendet sich dieser Borja jetzt an mich. » Worauf sind unsere mittelteuren Manager und ihre mittelalten Frauen scharf?«
» Keine Ahnung.
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