Neonträume: Roman (German Edition)
Freunde von ihr aus Petersburg. Ziemlich öde Gesellschaft.«
» Dann setzen Sie sich doch ein wenig zu uns! Allein!«, wendet sich eine der Damen an mich, eine reichlich angetrunkene Dunkelhaarige, die aussieht wie eine schlecht konservierte Cher aus den achtziger Jahren.
» Oxana, er hat doch gerade gesagt, er ist mit einer Frau hier«, lacht Ljocha.
» Na und? Bin ich keine Frau?«, prustet sie heiser los.
Ich setze mich, lege mein Handy auf dem Tisch ab, und sofort steht ein volles Glas Rum vor mir. Ich drehe mich kurz zu meinem eigenen Tisch um: Rita ist ins Gespräch mit ihren Kultis vertieft. Einen ärgerlichen Moment lang frage ich mich, warum sie mich überhaupt hierher mitgenommen hat. Aber dann spüle ich diesen Gedanken mit einem großen Schluck Rum weg. Ljocha erzählt gerade von einem Kumpel, der mit seiner Ex vor Gericht streitet.
» Wie lange haben sie zusammengelebt?«, fragt ein Typ mit Bürstenhaarschnitt. Eine eckige Brille mit schwarzer Plastikfassung in Kombination mit einem olivfarbenen Rollkragenpullover geben ihm eine starke Ähnlichkeit mit dem jungen Yves Saint Laurent.
» Zehn Jahre, davon fünf in Frankreich. Willst du wissen, wie sie sich getrennt haben?«
» Erzähl schon, das ist wahnsinnig interessant!«, sagt eine ungefähr fünfunddreißigjährige Mutti neben Yves Saint Laurent (seine Ehefrau, schätze ich mal). » Hat sie ihn betrogen?«
» Keine Ahnung. Das war jedenfalls nicht das Problem. Pass auf, das war so: Eines Morgens in Paris wacht mein Kumpel auf, es ist fünf Uhr früh. Er sieht zu seiner Frau rüber, steht auf, zieht sich an, steigt in sein Auto und fährt los, ans Meer. Nach Deauville.«
» Wie romantisch!« Die Ehefrau von Yves Saint Laurent pafft begeistert an ihrer Zigarette. » Und unterwegs trifft er eine kleine hübsche Französin und zack…«
» Aljona, quatsch nicht immer dazwischen, lass ihn weitererzählen!«, sagt die besoffene Cher und nimmt dabei mein Telefon in die Hand. » Erzähl schon, Ljocha, hör nicht auf sie.«
» Er hat niemanden getroffen«, fährt Ljocha fort, der übrigens, wie ich anmerken möchte, verglichen mit dem Zustand der anderen an diesem Tisch, völlig nüchtern wirkt. Gewohnheit? » Er fährt also nach Deauville, das liegt ungefähr anderthalb Fahrstunden von Paris entfernt, hält an der Uferpromenade, setzt sich in ein Café, trinkt einen Kaffee mit Curaçao, denkt ein bisschen über sein graues und viel zu vorhersehbares Leben nach, pumpt eine Portion Meerluft in seine Lungen und fährt wieder zurück.«
» Petschorin lässt grüßen«, sagt Yves Saint Laurent und nickt wissend. » Und als er nach Hause kam, findet er seine Frau mit einem Mann im Bett, stimmt’s?«
» Falsch.« Ljocha bedenkt alle reihum mit einem gnädigen Lächeln. » Als er nach Hause kommt, schläft seine Frau immer noch. Er geht wieder ins Bett, bleibt mit geschlossenen Augen liegen und wartet, bis seine Frau aufwacht. Dann stehen sie zusammen auf und gehen in die Küche.«
» Und?«, fragt Cher und tippt dabei etwas in mein Telefon. » Ist das alles?« Die Erzählung scheint sie nicht mehr besonders zu interessieren, aber was macht sie da mit meinem Telefon?
»› Wie hast du geschlafen, Liebling?‹, fragt er seine Frau. ›Gut, danke‹, sagt sie. ›Und du?‹ Jedenfalls, seine Frau hat überhaupt nicht gemerkt, dass er weg war.« Ljocha legt eine Kunstpause ein. » Und von diesem Tag an haben sie nie mehr im selben Bett geschlafen.«
» Unsinn! Natürlich hat sie es gemerkt!« Die Frau an Yves Saint Laurents Seite zerdrückt ihre Zigarette im Aschenbecher. » Wahrscheinlich fand sie ihn selbst schon lange zum Kotzen, deshalb hat sie lieber so getan, als hätte sie nichts bemerkt.«
» Vielleicht ist er ja schon öfter mal nachts zu einem kleinen Spaziergang verschwunden«, kichert Cher und gibt mir dabei mein Telefon zurück.
» Davon hat er mir nichts gesagt«, bemerkt Ljocha leise. Dann beugt er sich zu mir rüber und flüstert mir ins Ohr: » Oxana ist nymphomanisch, sei ja vorsichtig! Sie hat dir eben ihre Telefonnummer eingetippt.«
Ich nehme mein Handy und sehe auf dem Display eine lange Ziffernfolge. Reflexartig drücke ich auf Anrufen und unterbreche sofort.
» Aber sie ist sehr reich«, fügt Ljocha hinzu. » He, guck mal, da kommen gerade ein paar klasse Bräute rein!«
Ich drehe mich um und fühle, wie mir plötzlich die Zunge am Gaumen festklebt. Die eine der beiden Frauen, die das Restaurant betreten haben, ist eine
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