Neonträume: Roman (German Edition)
wenig irritiert.
» Äh, das ist, weil sie die Kacheln runterreißen«, überlege ich schnell.
» Aha? Ich dachte, mit Presslufthämmern reißt man Wände ein?«
Jetzt klammer dich doch nicht an diese Scheißpresslufthämmer! Lärm ist gleich Baustelle! Wen interessiert es, was da lärmt? Aber ich muss mich wohl zusammenreißen und mir irgendwas aus den Fingern saugen.
» Diese Idioten haben die falschen Kacheln drangeklebt, die sehen echt scheiße aus, aber das habe ich heute erst gesehen, verstehst du? Die müssen jetzt wieder runter, und dann kommen neue an die Wände. So ist das! Du weißt doch, die Toiletten sind fast das Wichtigste an einem Club, das muss stimmen!« Ich schalte den Blender aus, weil ich mein eigenes Wort nicht mehr verstehe.
Rita seufzt, anscheinend habe ich sie ein wenig beruhigt. » Und warum hattest du gestern Nasenbluten? Hast du wieder geschnupft?«
» Aber nein, Häschen, was denkst du? Ich weiß selbst nicht, warum. Es war so stickig in dem Laden, vielleicht deshalb. Mir war plötzlich schwindlig, und dann fing es an zu bluten.« Ich huste. » Verdammt, hier ist alles voller Baustaub! Entschuldige, Häschen, ich wollte einfach nicht, dass deine Freunde mich so sehen. Das verstehst du doch? Sonst hätten sie vielleicht noch gedacht… na ja, irgendwas halt…«
» Und wie geht es dir jetzt? Alles in Ordnung?«
» Ja, ja, alles klar. Ein bisschen schlapp, sonst nichts.« Ich lege ein Quäntchen leidvolle Ermattung in meine Stimme. » Gestern Blut, heute Staub, furchtbar!«
» Du hättest im Bett bleiben sollen«, sagt Rita mitfühlend.
» Das ging nun mal nicht, leider!« Ich spucke hingebungsvoll auf den Boden, weil ich einen Moment lang vergessen habe, dass ich mich in meiner Küche befinde und nicht auf einer Baustelle. » Fuck! Das kotzt mich alles an, glaub mir, aber es geht nicht anders! Und heute Mittag muss ich noch mit meinen Partnern zum Essen. So ist das eben. Jedenfalls, entschuldige!«
» Andrej, hör schon auf. Ich mache mir große Sorgen um dich.« Sie macht eine Pause. » Und ich liebe dich sehr.«
» Am Montag hole ich dich ab«, sage ich ganz ernst, um noch ein Scheit ins Feuer zu werfen. » Hast du Kartons zu Hause oder soll ich welche mitbringen? Oder hast du etwa vergessen, dass wir ab Montag zusammenwohnen werden?«
» Ich muss am Montag zu meinen Eltern, meine Mutter lässt mir keine Ruhe«, antwortet sie enttäuscht. » Es gibt ein Riesentheater, wenn ich nicht hinfahre.«
Jippie!, denke ich im Stillen und halte den Atem an, damit sie mir meine Freude nicht anmerkt.
» Dann am Dienstag!«
» Dann am Dienstag. Sehen wir uns heute noch?«, fragt sie ohne besondere Hoffnung auf eine positive Antwort.
» Ich würde schrecklich gerne, aber diese Trottel… meine Partner, verstehst du…«
» Also sehen wir uns nicht«, konstatiert sie.
» Ich rufe dich nach drei an, vielleicht kann ich mich ja früher loseisen.«
» Versuch’s. Ich bliebe am liebsten zu Hause, irgendwie fühle ich mich miserabel.«
» Was ist denn mit dir?«, erkundige ich mich betont mitfühlend. » Warst du schon beim Arzt?«
» Nee. Wahrscheinlich habe ich einen Zug bekommen. Meine Lymphknoten am Hals sind geschwollen. Auf der linken Seite vor allem.«
» Links?« Wenn das so weitergeht, wird sie mir am Ende unseres Gesprächs eröffnen, dass man ihr ein Bein abgenommen hat. » Und was ist dort?«
» Der Hals!«, lacht sie. » Andrej, du bist wie ein kleines Kind!«
» Ich weiß, dass dort der Hals ist. Ich meine nur, vielleicht verlaufen dort auch irgendwelche wichtigen Nerven oder Kontakte oder was weiß denn ich! Ich bin kein Arzt!«
» Nein, da verläuft nichts.« Ihre Stimme klingt abwesend. » Gar nichts…«
» Also gut, ich rufe dich nach drei an, in Ordnung?«, schlage ich noch einmal vor.
» Natürlich, ruf mich an. Wenn mein Handy abgeschaltet ist, schlafe ich. Oder ich habe Fieber. Oder was anderes.« Offensichtlich ist sie auf Mitleid aus.
» Rita, wirklich, was soll das jetzt? Ich kann doch hier nicht alles einfach hinschmeißen und abhauen! Hier hängen jetzt tausend Leute an mir dran: die Bauarbeiter, meine Partner, der Architekt und so weiter! Ich kann hier nicht weg!«, sage ich gekränkt.
» Ich verstehe. Ist schon in Ordnung. Also tschüss dann! Ruf mich an, wenn es klappt.« Sie legt auf.
Ich glotze stumpfsinnig aus dem Fenster. Ich bin das alles so leid. Ich möchte raus aus dieser Zwickmühle, mein Leben ändern, eine andere Umgebung, andere
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