Nephilim
Zauber belegen, damit sie sich wieder schließen, sobald wir fort sind. Die Engel werden uns so nicht mehr finden. Unter diesen Steinen liegt unsere Rettung! Lasst sie uns fortschaffen! So können wir fliehen!«
Ohne zu zögern, begannen sie, die Steine beiseitezuräumen. Tatsächlich lag darunter ein schmaler Schacht, an dessen Wand eine metallene Treppe abwärts führte.
»Die Hyäne war nicht allein«, sagte Paolo, der auf Nando zutrat und ihn aus zusammengekniffenen Augen anstarrte. »Solange wir den da dabeihaben, werden die anderen Blutjäger uns auf die Spur kommen. Er ist es, den sie wollen, bald werden sie kommen, wir … «
Da zerriss das Rauschen von Schwingen die Luft. Es war weit entfernt, kaum mehr als ein Flüstern noch, aber doch deutlich genug, um alle im Raum innehalten zu lassen. Nando erwiderte Paolos Blick, er sah die Furcht in dessen Augen und spürte nichts mehr als Verachtung.
»Nein«, erwiderte er leise, aber so scharf, dass Paolo nichts entgegnete. Es war, als hätte Nando ihm mit diesem einen Wort die Kehle zugedrückt. »Sie sind schon da.«
Er schaute zu Riccardo hinüber, der sichtlich bemüht war, die Steine so schnell wie möglich fortzuschaffen. Ilja war außer sich vor Angst, und Noemi schaute ihn aus pechschwarzen Augen an.
»Ich lasse niemanden zurück«, sagte sie kaum hörbar.
Nando lächelte ein wenig. »Ich bin der Teufelssohn«, erwiderte er, wohl wissend, dass dies zweierlei bedeuten konnte: Zum einen, dass er es nicht wert war, gerettet zu werden – zum anderen, dass er stark genug sein konnte, um den Engeln entgegenzutreten. Noemi nickte langsam, als würde sie seine Gedanken lesen, doch es gelang ihm nicht zu erahnen, welche Position die ihre war.
»Der Kamin im Schlafzimmer führt in die Wohnung auf der anderen Straßenseite«, raunte sie. »Aber dort gibt es keinen geheimen Weg mehr hinaus.«
Nando nickte, noch einmal sah er von einem zum anderen, es schien ihm, als müsste er diesen Anblick im Gedächtnis behalten. Er sah den stillen Ernst in Riccardos Blick, die Furcht in Iljas Augen, spürte den Hass, den Paolo aus jeder Pore ausströmte, und spiegelte sich selbst in Noemis schwarzen Augen, deren Ausdruck er nicht deuten konnte. Hinter ihm strömte Licht durch das Fenster, und er musste an den Engel in der einsamen Gasse denken, den Engel, vor dem er sich einst gefürchtet hatte – den Engel, der er war. Kaum merklich neigte er vor den anderen den Kopf, wandte sich ab und eilte ins andere Zimmer.
Mit raschen Bewegungen schob er die steinerne Platte unter dem Kamin beiseite, sprang in den Schacht und ließ sie mit einem Zauber wieder über die Öffnung gleiten. Dann entfachte er ein schwaches Licht in seiner Faust und eilte, so schnell er konnte, einen schmalen Tunnel entlang. Er meinte, die Schritte der Engel über sich zu hören, aber schon erreichte er das Ende des Ganges. Schnell schob er auch dort eine Steinplatte beiseite und lief in dem kleinen Raum, der abgesehen von einem hölzernen Tisch mit drei Beinen vollkommen leer war, ans Fenster.
Er kniff die Augen zusammen, um durch die verkratzte Scheibe etwas erkennen zu können – und wäre beinahe vor Schreck zurückgefahren. Drei Engel schritten die Straße hinauf, zwei Krieger, die Nando noch nie gesehen hatte, und vor ihnen, die Faust fest um den Knauf seines Schwertes geschlossen, ging Avartos.
Wie ein Blitzlichtgewitter gingen die Bilder ihrer letzten Begegnung auf Nando nieder. Er spürte die Furcht, die ihn beim Anblick von Avartos wie eine steinerne Fessel umschlossen hatte, auch jetzt auf seinen Schultern, und wie sie langsam ihre Kruste abwärtsschickte. Er sah Silas tödlich getroffen zu Boden sinken, auch der Kampf mit Noemi flackerte in ihm auf, er erinnerte sich an seine Hilflosigkeit, an die Flammen des Teufels auf seiner Stirn und die Ohnmacht, in der er die Hand gehoben und nach der höheren Magie gegriffen hatte. Du fürchtest dich zu Recht, klang Drengurs Stimme durch seinen Kopf. Jederzeit kannst du wieder in eine Situation wie diese geraten.
Nando atmete schwer, er fixierte Avartos mit seinem Blick. Mehrere Hyänen schlichen lautlos wie Schatten hinter den Engeln her, es schien, als hätte Avartos ihnen den Befehl gegeben, sich zurückzuhalten. Dies war seine Jagd, das konnte Nando sehen. Suchend schaute der Engel von rechts nach links, nur noch wenige Schritte, und er würde das Haus entdecken, in das die Nephilim geflohen waren. Die Tür war verschlossen, doch es stand
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