Nephilim
Furcht in ihm auflösen.
Sie gehört dir , raunte der Teufel aus den Schatten. Nimm sie, nutze die höchste Magie, die in dir ruht, und ich werde dich leiten. Gib mir meine Kraft zurück, und ich werde die deine vermehren und dich zu einem Wesen machen jenseits jeder Vorstellung. Du wirst stark sein als Sohn der Hölle, du wirst über Asche und Feuer gebieten und die Scharen meiner Diener befehligen, das Zepter der Flammen fest in der Hand.
Nandos Herz schlug rasend schnell in seiner Brust. Er hatte die Flamme fast erreicht, und er sah Gestalten in ihr auflodern, wilde, unbändige Wesen, die ihn zu sich lockten. Sie rochen nach Freiheit, zügelloser Freude und einer Macht, die seinen Atem beschleunigte.
Niemals mehr wirst du Momente der Furcht erleben , flüsterte der Teufel kaum hörbar. Niemals mehr Augenblicke der Schwäche, niemals mehr wirst du Sterblichkeit fürchten müssen oder Verlust. Niemals mehr Momente wie einst.
Die Flamme wurde eine Spur heller, Nando sah das Feuer darin, das aus einem lichterloh brennenden Auto schlug, hörte die Schreie seiner Eltern und fühlte den Schmerz in seinem Arm. Er spürte wieder die Hand seiner Mutter, sie war heiß wie glühendes Metall, und er hörte sie schreien. Dann brach ihre Stimme ab, Nando fühlte die Dunkelheit, die sich über ihn legen wollte, als er wieder diese Stille empfand, und er spürte die unerträgliche Hitze auf seiner Haut. Er fuhr zurück, doch da loderte die Flamme auf und erhellte eine Gestalt in den Schatten, die Nando augenblicklich jede Flucht vergessen ließ. Vor ihm stand der Teufel.
Vom ersten Moment an wusste Nando, dass er einem Engel gegenüberstand, einem Engel mit schneeweißer Haut und goldenen Augen, einem Engel mit gewaltigen Schwingen, die wie Fächer aus schwarzem Samt aus seinem Rücken ragten, und einem Lächeln, das Welten in Brand setzen konnte. Das Licht seiner Augen war so strahlend, dass es eigentlich ein Schatten war: Es verdrängte jede Vorstellung von Helligkeit, die Nando besaß. Er spürte, dass in diesem Gold die Antwort auf jede Frage lag, die er einmal geträumt hatte, und noch während er versuchte, die Gestalt seines Gegenübers zu erfassen, wusste er, dass er daran nur scheitern konnte. Sein Verstand war gefangen in seinem menschlichen Geist, und er löste sich auf im kalten Feuer der goldenen Augen.
Es schien ihm, als hätte er nie etwas anderes gesehen als diesen Engel, und mehr noch: als wäre es vollkommen gleichgültig, ob er jemals wieder etwas sah, nun, da er ihn betrachtet hatte. Er fühlte, dass das, was er erblickte, nicht erschaubar war – zwar konnte er das Gesicht des Teufels beschreiben, sein langes goldflammendes Haar, das bis weit auf seinen Rücken hinabfiel, und die große, erhabene Gestalt. Er spürte auch die Kälte, die von ihm ausströmte, und sah die feingliedrigen, marmorgleichen Hände mit den zarten Fingern. Und doch sah er ihn nicht. Das, was Luzifer war, lag in einem Bereich des Verborgenen, der nur erfühlbar war, der alle Sinne durchströmte und über sie hinausging, bis Nando glaubte, er wäre ganz und gar in der Gestalt des Engels aufgegangen.
Niemals zuvor hatte er ein solches Wesen gesehen, ein Geschöpf aus Licht, dessen Finsternis ihn auf diese Weise anzog. Es schien ihm, als würde alles Schlechte, das er in sich trug, jede Andeutung von Dunkelheit im Schein dieses Lichtbringers verglühen, als hätte er sein Leben lang nur auf diesen Moment gewartet, da er heimkehren konnte zu dem, der sein Ich begründete. Nando fühlte den Schein der Engelsaugen auf seinem Gesicht, und als der Teufel den Kopf neigte und die Hand mit der Flamme nach ihm ausstreckte, spürte er den unbändigen Drang, den letzten Schritt auf ihn zuzutreten.
Ich könnte dafür sorgen, dass so etwas wie damals niemals wieder geschieht, sagte Luzifer sanft. Ich könnte dich zu einem Fürsten der Schatten machen – du musst es nur wollen. Flieh nicht vor mir, denn ich bin es nicht, den du fürchten musst. Komm zu mir als das, was du bist: mein Sohn.
Nando atmete schwer. Die Stimme des Teufels durchdrang seine Gedanken mit betäubendem Gesang, er sah sich selbst in den goldenen Augen mit gestrecktem Schwert über ein riesiges Schlachtfeld reiten, sah sich auf einem Thron aus Knochen und fühlte das Licht schwarzer Fackeln auf seinem Gesicht. In seiner Hand lag ein Zepter aus gleißendem Metall, fast meinte er, dessen Kälte zu spüren, und ein seltsames Gefühl wie Sehnsucht entfachte sich in seiner
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