Nephilim
Opfer hermachten und sich gefräßig durch seine Adern schoben.
Bhrorok raste auf den Engel zu, eilig zog er eine gläserne Ampulle aus seinem Mantel, riss dem Thron den Hals auf und fing das Blut mit dem Gefäß auf, bis es vollständig gefüllt war. Erst dann sah er dem Engel ins Gesicht.
Sein Mund war zu einem Schrei verzerrt, doch Bhrorok hörte nichts als gurgelndes Keuchen und das schmatzende Fressen seiner Gefährten, die den Engel ausweideten und ihn bei Bewusstsein hielten, um ihm die Schrecklichkeit des eigenen Todes nicht zu ersparen. Bhrorok fühlte ihre Leiber unter der silbrigen Engelshaut, und er wollte gerade ein Lächeln auf seine Lippen legen, als der Kopf des Engels zur Seite fiel und er ihn direkt ansah. Nichts Hoheitsvolles lag mehr in seinem Blick, keine Spur mehr von der einstigen Schönheit, die Bhrorok die Kehle zugeschnürt hatte vor Abscheu. Und doch hatte der Engel seine Erhabenheit nicht verloren. Ruhig schaute er Bhrorok an, als würde er den erstickenden Laut seines eigenen Atems nicht mehr hören, als würde er die Bisse der Schnecken nicht fühlen und nicht ein letztes Mal die Augen öffnen, um seinem Feind ins Angesicht zu schauen. Er betrachtete Bhrorok so staunend, dass es diesem den Zorn in die Wangen trieb. Doch ehe er die Faust vorstoßen und dem Engel die Augen aus dem Kopf brennen konnte, lächelte dieser – sanft und mit einem Ausdruck, der Bhrorok die Luft aus der Lunge presste. Gleich darauf verwandelte sich der Körper des Engels in nebliges Licht. Lautlos glitt er Bhrorok durch die Finger und ließ nicht mehr in ihm zurück als das Lächeln, das der Engel ihm geschenkt hatte – ein Lächeln von nichts getragen als haltlosem Mitgefühl.
Das struppige Fell des Wolfs schob sich unter Bhroroks Hand und ließ ihn Atem holen. Er wandte den Blick, sein schattenhafter Begleiter schaute mit Ehrfurcht zu ihnen herüber. Schweigend hob Bhrorok die Ampulle mit dem Blut des Engels vor seine Augen und nickte. In dieser Nacht hatte er den ersten gefangen. Den ersten Engel, der seinen Weg bereiten würde – seinen Weg zum Sohn des Teufels.
15
Das Netzwerk der Korridore, von dem die Kampfräume abzweigten, lag im Untergeschoss der Akademie und schien kein Ende zu nehmen. Atemlos hastete Nando über den knarrenden Eichenboden eines Ganges und kämpfte mit der Jacke seines Sportanzugs. Er trug eine weite schwarze Kampfsporthose, ein schmal geschnittenes Hemd und den rechten Ärmel einer Jacke, die mit metallenen Ösen verschlossen wurde und deren linker Ärmel sich hoffnungslos verknotet hatte. Sein Schwert hing an einem Gürtel, der Boden war kalt unter seinen bloßen Füßen und die Schreie der Kämpfenden, die hin und wieder durch die dicken Eichentüren drangen, vermehrten seine Eile noch. Er hatte einige Tage Zeit bekommen, um sich in die magischen Grundlagen einzuarbeiten, die während der Lektionen vorausgesetzt wurden. Nun war die Schonfrist vorbei, er würde in Kampfkunst unterrichtet werden – und gleich zur ersten Stunde nicht pünktlich sein.
Bis spät in die Nacht hatte er gemeinsam mit Antonio in dessen Arbeitszimmer gesessen und unzählige Formeln gelernt. Inzwischen beherrschte er grundlegende Dinge wie den Schutz seiner Gedanken, doch er erinnerte sich noch genau daran, wie er erstmals Antonios Arbeitszimmer betreten hatte, dieses staubige Sammelsurium an Büchern und Schriften, Waffen, magischen Artefakten und Kunstgegenständen der Menschen. Er war an dem wuchtigen Schreibtisch und den beiden mit struppigem schwarzen Fell bezogenen Sesseln vorbeigetreten und staunend an den Reihen der Gemälde, Manuskripte und Skulpturen vorübergegangen, die ohne ersichtliche Ordnung auf den Ablagen, vor den Fenstern und in den Regalen verteilt worden waren. Wie erstarrte Menschen hatten die Statuen ihn aus schattenhaften Gesichtern beobachtet. Antonios Zimmer war ihm wie ein Kaleidoskop aus Dingen erschienen, die einst von größter Bedeutung gewesen waren und die nun verwahrt werden mussten, hier, tief unten in den Festen der Dunkelheit. Der größte Teil der Gegenstände stammte aus der Welt der Menschen, und Nando hatte einen echten Renoir unter den Gemälden entdeckt. Nur ihr Menschen seid in der Lage, solche Kunst zu schaffen , klang Antonios Stimme in ihm wider. Eine Kunst, die von der Sterblichkeit erzählt, die sie fürchtet und achtet und in dieser Spannung über den Tod hinauswächst. Diese Kunst ist nie vollendet. Sie setzt sich fort in ihren Rezipienten, in all
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