Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
Grunde schmeckte es gar nicht so schlecht.
»Ich habe hier unten für die Telekom gearbeitet, die haben damals ein paar Zentralen für einen thailändischen Telefon-343
betreiber installiert. Nach dem dritten Montageaufenthalt bin ich nicht mehr zurückgegangen.«
»Nie mehr?«
»Ich war geschieden und hatte hier alles, was ich brau chte.
Eine Weile dachte ich zwar, dass ich mich nach dem norwegischen Sommer sehnen würde, nach den Fjorden und Bergen und all dem Zeug.« Er nickte in Richtung der Bilder, die an der Wand hingen, als könnten diese den Rest erzählen.
»Ich bin deshalb zwei Mal zu rück nach Norw egen gefahren, aber beide Male war ich im Laufe einer Woche wieder hier. Ich habe es nicht ausgehalten, habe m ich von de m Moment an, i n dem ich meine Füße auf norwegi schen Boden gestellt hatte, wieder zurückgewünscht. Inzwischen habe ich verstanden, dass ich hierher gehöre.«
»Was arbeiten Sie?«
»Ich bin ein bald in den Ruhe stand gehender Berater im Bereich Telekommunikation, hier und da übernehm e ich einen Auftrag, aber nich t zu viele. Ich v ersuche, mir auszurechnen, wie viel Zeit ich noch habe und
wie viel ich in dieser Zeit
brauchen werde. Ich will den Geiern nicht eine Øre hinterlassen.«
Er lachte und wedelte mit der Hand in Richtung Scheidungs-papiere, als wolle er einen üblen Geruch vertreiben.
»Was ist mit Ove Klipra? Warum ist der noch immer hier?«
»Klipra? Tja, der wird Ihnen w ohl eine ähnliche Geschichte erzählen, denke ich. Ke iner von uns hat wirklich ausreichende Gründe, wieder zurückzugehen.«
»Klipra hatte wohl eher gute Gründe, nicht zurückzukehren.«
»Pah, ich weiß, auf was Sie anspielen«, sagte Bork. »Das alles ist doch nur dumm es Gerede. Wenn Ove wirklich dam it etwas zu tun hätte, hätte ich mich nie mit ihm abgegeben.«
»Sind Sie sicher?«
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Borks Augen glänzten. »Es gab ein paar Norweger, d ie aus den falschen Gründen hierher nach Pattaya gekommen sind. Wie Sie wissen, bin ich eine Art Nest or der norwegischen Gemeinde hier in der Stadt und wir empfinden eine gewisse Verantwortung für das, was unsere Lan dsleute hier unten treiben. Die m eisten von uns sind anständige Bürger und wir haben getan, was getan werden musste. Diese pädophilen Arschlöcher haben Pattayas Ruf trotzdem derart gründlich ru iniert, dass einige schon den Namen der Stadtteile nennen, wie Naklua und Jom tien, wenn jemand in Norwegen fragt, wo sie wohnen.«
»Was meinen Sie mit ›getan, was getan werden musste‹?«
»Lassen Sie es m ich so ausdrücken, zwei d ieser Kerle s ind wieder nach Hause gefahren, einer hat es nicht so weit geschafft.«
»Ist der möglicherweise aus einem Fenster gefallen?«, schlug Harry vor.
Bork lachte dröhnend. »Nein, so weit gehen wir nun auch wieder nicht. Aber ich nehme an, das war das erste Mal, dass die Polizei einen anonym en Anruf auf Thailändisch m it norwegischem Akzent bekommen hat.«
Harry lächelte.
»Ihr Sohn?« Er sah fragend zu dem Bild auf der Kommode.
Bork sah etwas betreten aus, nickte aber.
»Sieht nach einem aufgeweckten Jungen aus.«
»Das war er mal.«
Bork lächelte traurig und wiederholte: »Das war er mal.«
Harry sah auf die Uhr. Die Fahrt von Bangkok hierher hatte beinahe drei Stunden gedauert, doch er war langsam wie ein Sonntagsfahrer gewesen, bis er sich auf den letzten Meilen endlich etwas sicherer gefühlt ha tte. Vielleicht schaffte er den Rückweg in gut zwei S tunden. Er nahm drei Bilder aus seiner Mappe und legte sie vor Bork auf den Tisch. Løken hatte sie auf 345
24 mal 30 Zentimeter vergrößert, um den maximalen Schockef-fekt zu erzielen.
»Wir glauben, dass Ove Klipra irgendwo in der Nähe von Bangkok einen Schlupfwinkel hat. Wollen Sie uns helfen?«
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KAPITEL 44
Søs klang glücklich am Telefon. Sie hatte einen Jungen kennengelernt, Anders. Er war gerade im Wohnheim auf dem gleichen Flur eingezogen und war ein Jahr jünger als sie.
»Und er trägt eine Brille. Aber das macht nichts, denn der ist superlieb.«
Harry lachte und stellte sich Søs’ neuen Einstein vor.
»Er ist total verrückt. Der glau bt wirklich, die lassen uns irgendwann Kinder kriegen. Stell dir das doch mal vor.«
Harry stellte es sich vor und erkannte, dass da in naher Zukunft einige schwierige Gespräche vor ihm lagen. Doch im Moment freute er sich nur dar über, dass sich Søs so zufrieden anhörte.
»Warum bist du so traurig? « Die Frage schloss sich ohne Pause an die Neuigkeit
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