Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
schnell , dass es für einen einzigen Mann unmöglich war, das Büro des Botschafters zu durchsuchen, ohne zu wissen, wonach er suchen sollte.
»Ich sehe hier kein Handy«, sagte Harry.
»Wie gesagt – das hatte er immer bei sich.«
»Wir haben am Tatort kein Handy gefunden. Und ich glaube nicht, dass der Täter ein Dieb war.«
Fräulein Wiig zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht hat es ein er Ihrer thailändischen Kollegen ›beschlagnahmt‹?«
Harry wollte das nicht komm entieren, sondern fragte stattdessen, ob an dem besagten Tag je mand von der Botschaft Molnes angerufen habe. Sie bez weifelte das, wollte es a ber überprüfen.
Harry sah sich ein letztes Mal um.
»Wer in der Botschaft hat Molnes als Letzter gesehen?«
Sie dachte nach.
»Das muss Sanphet gewesen sein, der Chauffeur. Der Botschafter und er waren gute Fre unde geworden. Er nimmt es sehr schwer, weshalb ich ihm ein paar Tage frei gegeben habe.«
»Warum hat er d en Botschafter am Mordtag nicht gefahren, wenn er doch sein Chauffeur war?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Das habe ich m ich auch gefragt. D er Botschafter fuhr nich t gerne selbst in Bangkok.«
»Hm. Was können Sie mir über den Chauffeur sagen?«
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»Sanphet? Er ist schon ewig hier. Er war noch nie in Norwegen, kennt aber alle Städte au swendig. Und die Reihenfolge der Könige. Ja, und er liebt Grieg. Ic h weiß nicht, ob er zu Hause einen Plattenspieler hat, aber ich glaube, er hat alle Platten. Er ist wirklich ein süßer, alter Thai.«
Sie neigte den Kopf zur Seite und entblößte ihr Zahnfleisch.
Harry fragte, ob sie wisse, wo er Hilde Molnes treffen konnte.
»Sie ist zu Hause. Schrecklich niedergeschlagen, fürchte ich.
Ich glaube, es wäre besser, noc h ein wenig m it ihrer Befragung zu warten.«
»Danke für den Rat, Fräulein W iig, aber das Warten ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. W ürde es Ihnen etwas ausmachen, sie anzurufen und mein Kommen anzukündigen?«
»Ich verstehe. Entschuldigen Sie.«
Er wandte sich ihr zu.
»Woher stammen Sie, Fräulein Wiig?«
Tonje Wiig sah ihn überrascht an. Dann lachte sie schrill und ein wenig gekünstelt. »Soll das ein Verhör sein, Kommissar?«
Harry antwortete nicht.
»Wenn Sie es absolut w issen wollen – ich bin in Frederikstad aufgewachsen.«
»Das hatte ich vermutet«, sagte er zwinkernd.
Die zartgliedrige Frau am Empfang hatte sich nach hinten gelehnt und sich eine Sprayfla sche unter die kleine Nase gehalten. Sie zuckte zusamm en, als Harry diskret hustete, und lachte überrascht, die Augen voller Wasser.
»Entschuldigen Sie, die Luft in Bangkok ist so schlecht«, erklärte sie.
»Das habe ich auch schon gem erkt. Können Sie m ir helfen?
Ich brauche die Telefonnummer des Chauffeurs.«
Sie schüttelte den Kopf und schniefte. »Er hat kein Telefon.«
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»Na dann. Aber er wohnt doch irgendwo?«
Das war als Spaß gedacht, aber er konnte ihr ansehen, dass ihr seine Äußerung nicht gefiel. Si e schrieb ihm die Adresse auf und warf ihm zum Abschied ein winziges Lächeln zu.
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KAPITEL 11
Ein Diener stand bereits wartend in der Tür, als sich Harry der Botschaftervilla näherte. Er f ührte ihn durch zwei große, geschmackvoll mit Bambus und Teak möblierte Räume zu einer Terrassentür, die in den Garten hinter dem Haus führte. Orchi-deen leuchteten in Blau und Gelb und unter den großen, schattenspendenden Weiden flat terten Schmetterlinge wie farbiges Papier. An einem sa nduhrförmigen Pool fanden sie Hilde Molnes, die Frau des Botschafters. Sie saß in einem rosa Morgenmantel in einem Korbsessel. Vor ihr auf dem Tisch stand ein farblich dazu passe nder Drink. Die S onnenbrille, die Hilde Molnes trug, verdeckte die Hälfte ihres Gesichtes.
»Sie müssen Kommissar Hole sein«, sagte sie m it hartem Sunnmøredialekt. »Tonje hat m ich angerufen und Ihr Komm en angekündigt. Etwas zu trinken, Herr Kommissar?«
»Nein, danke.«
»Aber ja doch. Bei dieser Hit ze sollte man etwas trinken, das ist wichtig. Denken Sie an den Fl üssigkeitshaushalt, auch wenn Sie nicht unbedingt D urst haben. Hier unten dehydrieren Sie schneller, als Ihr Körper Ihnen das signalisieren kann.«
Sie nahm die Sonnenbrille ab und zum Vorschein kam en braune Augen, wie Harry es in Anb etracht der schwarzen Haare und der dunklen Haut schon verm utet hatte. Sie waren lebhaft, an den Rändern abe r etwas rot. Tra uer oder Vo rmittagsdrinks, dachte Harry. Oder beides.
Er schätzte sie auf Mitte
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