Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
vier zig, wobei sie sich gut gehalten hatte. Eine etwas in die Jahre gekommene, leicht v erblichene Schönheit der oberen Mittelklasse. W ie er sie früher schon einmal gesehen hatte.
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Er setzte sich in den anderen Korbsessel, der sich um seinen Körper schmiegte, als habe er nur auf sein Kommen gewartet.
»Wenn das so ist, n ehme ich gerne ein Glas Wasser, Frau Molnes.«
Sie instruierte den Diener und schickte ihn mit einer Handbewegung davon.
»Hat man Ihnen m itgeteilt, dass Sie Ihren Mann jetzt sehen dürfen?«
»Ja, danke«, sagte sie. Harry hörte den unterschwelligen Unmut. »Erst jetzt lassen sie m ich zu ihm. Zu einem Mann, mit dem ich zwanzig Jahre verheiratet war.«
Die braunen Augen waren schwarz geworden und Harry dachte, dass die Sagen über die vi elen schiffbrüchigen Spanier und Portugiesen, die an der Küste von Sunnm øre an Land
gezogen wurden, vermutlich der Wahrheit entsprachen.
»Es tut mir leid, aber ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen«, sagte er.
»Dann sollten Sie das tun, solange der Gin noch wirkt.«
Sie schlug ein schlankes, sonne ngebräuntes und anscheinend frisch rasiertes Bein über das andere.
Harry nahm seinen Notizblock heraus. Nicht dass er seine Notizen wirklich brau chte, aber s o musste er sie bei ihren Antworten nicht anseh en. Meistens erleichterte ihm das die Sache, wenn er mit den Angehörigen sprach.
Sie sagte, ihr Mann habe m orgens das Haus verlassen und nichts davon gesagt, dass es spät werden würde. Es sei aber nichts Besonderes, dass immer mal wieder etwas Unerwartetes dazwischenkam. Als sie um zehn Uhr abends noch immer nichts von ihm gehört hatte, habe sie versucht, ihn anzurufen, doch sie habe ihn nicht erreicht, weder im Büro noch über sein Handy.
Trotzdem habe sie s ich noch keine Sorgen gemacht. Kurz n ach 86
Mitternacht habe Tonje W iig angerufen und ihr m itgeteilt, dass ihr Mann tot in einem Motelzimmer aufgefunden worden sei.
Harry musterte Hilde Molnes’ Ge sicht. Sie sprach mit fester Stimme und ohne dramatische Ausschmückungen.
Tonje Wiig hatte Hilde Molnes gegenüber behauptet, es gebe noch keine Kenntnis über die
genaue Todesursache. A m
nächsten Tag sei sie dan n vom Botschaftsrat informiert worden, dass er ermordet worden war, dass von Oslo jedoch absolutes Stillschweigen über die genaue Todesursache verordnet worden sei. Dies betreffe auch Hild e Molnes, obgleich sie keine Bot-schaftsangestellte sei, denn a lle norwegischen Staatsbürger könnten aus Rücksicht auf die »Sicherheit des Reichs« zu m
Schweigen verdonnert werden. Da s Letzte sagte sie voller Bitterkeit, hob das Glas und prostete ihm zu.
Harry nickte nur und machte sich Notizen. Er fragte sie, ob sie sich sicher sei, dass er sein Handy nicht zu Hause habe liegen lassen, was sie m it Nachdruck bestätigte. Einer Eingebung folgend fragte er, was für ein Handy er gehabt hatte, und sie gab an, sich nicht sicher zu sein, aber zu glauben, es sei ein finni -
sches gewesen.
Sie konnte ihm keine Personen nennen, die eventuell ein Motiv haben konnten, dem Botschafter den Tod zu wünschen.
Er trommelte mit dem Bleistift auf den Block.
»Mochte Ihr Mann Kinder?«
»O ja, sehr!«, kam es spontan von Hilde Molnes und zum ersten Mal nahm er ein Zittern in ihrer Stimme wahr.
»Atle war der beste Vater der Welt, müssen Sie wissen.«
Harry musste wieder auf seinen Block blicken. Nichts in ihrem Blick ließ darauf schließen, da ss sie die Zweideutigkeit seiner Frage erkannte hatte. Er war sich beinahe s icher, dass sie nichts wusste. Aber er wusste auch, dass es sein verfluchter Job war, den nächsten Schritt zu tun und sie ohne Umschweife zu fragen, 87
ob sie davon Kenntnis hatte, dass der Botschafter im Besitz von Kinderpornografie war.
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er fühlte sich wie ein Chirurg, der das Skalpell in der Hand hat, doch außerstande ist, den ersten Schnitt zu machen. Verflucht noch mal, dass er diese innere Weichheit nicht überwi nden konnte, wenn es schwer wurde und er unschuldigen Me nschen die Augen über ihre Lieben öffnen musste, mit Details, um die sie nicht gebeten und die sie sicher nicht verdient hatten.
Hilde Molnes kam ihm zuvor.
»Er hatte Kinder so gern, dass wir schon überlegt hatten, ein kleines Mädchen zu adoptieren.« Si e hatte jetzt Tränen in den Augen. »Ein armes, kleines Flüchtlingsmädchen aus Burma. Ja, innerhalb der Botschaft achten sie schon darauf, Myanm ar zu sagen, um niemanden vor den
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