Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
Kopf zu stoßen, aber ich bin alt genug, um Burma zu sagen.«
Sie lachte ein trockenes Lachen durch ihre Tränen und fing sich wieder. Harry sah weg. Ei n roter Ko libri stand wie ein kleiner Modellhelikopter ruhig vor einer Orchidee in der Luft.
Das war es, beschloss er. Sie weiß nichts. Sollte sich zeigen, dass es doch relevant war, würde er diesen P unkt später noch einmal aufgreifen. Andernfalls würde er es ihr ersparen.
Harry fragte, wie lang sie sich schon kannten, und unaufgefor-dert erzählte sie ihm , dass sie sich begegnet waren, als Atle Molnes als frisch diplo mierter Volkswissenschaftler zu einem Weihnachtsbesuch zu Hause in Ørsta war. Die Familie Molnes sei schwerreich gewesen, sie besaß zwei Möbelfabriken und der junge Erbe war eine gute Partie für jede im Dorf gewesen, so dass es an Konkurrenz nicht gemangelt habe.
»Ich war nur Hilde Meile vom Mellehof, aber ich war die Hübscheste«, sagte s ie mit dem gleichen trockenen Lachen.
Plötzlich erschien ein schmerzlicher Ausdruck auf ihrem Gesicht und sie führte rasch das Glas an die Lippen.
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Harry hatte keine Problem e, sich die Witwe als reine, jun ge Schönheit vorzustellen.
Insbesondere auch deshalb nicht, weil sich ihr B ild soeben in der offenen Schiebetür der Terrasse materialisiert hatte.
»Runa, Liebes, da bist du ja! Dieser junge Mann heißt Harry Hole. Er ist ein norwegischer Kommissar und soll helfen herauszufinden, was mit Vater passiert ist.«
Die Tochter würdigte sie eines flüchtigen Blickes und ging, ohne zu antworten, zur anderen Seite des Pools hinüber. Sie hatte das dunkle Haar und die braune Haut ihrer Mutter und Harry schätzte den langbeinige n, schlanken Körper in dem eng sitzenden Badeanzug auf etwa siebzehn Jahre. Er hätte es wissen müssen, es stand in dem Bericht, den er vor seiner Abreise erhalten hatte.
Sie wäre eine m akellose Schönheit gewesen, wie ihre Mutter, wäre da nicht ein Detail gewe sen, von dem nichts im Bericht stand. Als sie den Pool um rundete und m it drei langsam en, graziösen Schritten über das Sp rungbrett ging, ehe sie die Füße zusammenzog und zum Himmel emporstieg, hatte Harry bereits einen Knoten im Bauch. Aus ihrer linken Schulter ragte ein dünner Armstumpf, der ihrem Körper bei seinem Schraubensal-to eine selts am asymmetrische Form gab – wie ein Flugzeug, dem man einen F lügel abgeschossen hatte. Nur ein leises
»Platsch« war zu hören, als sie die grüne Fläche durchbrach und verschwand. Blasen stiegen zur Wasseroberfläche auf.
»Runa ist Kunstspringerin«, bemerkte Hilde Molnes überflüs-sigerweise.
Er hielt den Blick noch imm er auf die Stelle gerichtet, an der sie im Wasser verschwunden war, als eine Gestalt an der Treppe am anderen Ende des P ools zum Vorschein kam. Sie stieg die Leiter empor und er sah ihren m uskulösen Rücken. Die Sonne glitzerte in den Wassertropfen auf ihrer Haut und ließ das nasse schwarze Haar glänzen. Der Armstumpf hing wie ein Hü hner-89
flügel herab. Sie entstieg de m Wasser ebenso lautlos, wie sie eingetaucht war, und verschwa nd ohne ein Wort durch die Terrassentür.
»Sie wusste sicher nicht, dass Sie hier sind«, sagte Hilde Molnes entschuldigend. »Sie m ag es nicht, w enn Fremde sie ohne ihre Prothese sehen, verstehen Sie.«
»Schon klar. Wie kommt sie mit den Geschehnissen zurecht?«
»Tja.« Hilde Molnes sah ihr geda nkenverloren nach. »Sie ist in dem Alter, in dem ich nich ts erfahre, und auch sonst niemand.«
Sie hob ihr Glas. »Ich fürchte, Runa ist ein etwas eigenes Mädchen.«
Harry erhob sich, dankte für die Inform ationen und meinte, er werde wieder von sich hören lassen. Hilde Molnes m achte ihn darauf aufmerksam, dass er das W asser nicht angerührt hatte, und er verbeugte sich und bat sie, es ihm bis zum nächsten Mal aufzuheben. Ihm wurde bewusst, dass der letzte Komm entar vielleicht etwas unpassend war, aber sie nahm es m it einem Lachen und prostete ihm zum Abschied zu.
Als er zur Tür ging, fuhr ein
offener roter Porsche in die
Einfahrt. Er sah gerade noch einen blonden P
ony über einer
Ray-Ban-Sonnenbrille und einen grauen Armani-Anzug, ehe das Auto an ihm vorüber war und im Schatten vor de m Haus
verschwand.
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KAPITEL 12
Hauptkommissarin Crumley war außer Haus, als Harry ins Präsidium zurückkehrte, aber N ho reckte den Daum en in die Höhe und sagte »Roger«, als Harry ihn höflich bat, die Telefongesellschaft zu kontaktieren, um alle abgehenden oder angenom-menen
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