Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
ergriff Torhus das Wort.
»Wir haben also einen Norweger , der unter Mordverdacht in Untersuchungshaft sitzt. Die Frage ist, wie lange können wir das vor den Medien geheim halten?«
Die Polizeipräsidentin räusperte sich. »Da der Presse der Mord bisher nicht bekannt ist, steht die Polizei auch noch nicht unter dem Druck, einen Mörder finde n zu m üssen. Ich werde anschließend ein Telefonat führe n. Ich denke, wir haben noch ein paar Tage, insbesondere da Sie ge gen Brekke ja vorläufig nicht mehr in der Hand haben als ein Motiv und eine Falschaussage.
Wenn Sie ihn gehen lassen müssen, ist es vielleicht besser, wenn niemand von der Festnahme erfährt.«
»Harry, hörst du m ich?« Jetzt sprach Møller wieder. Es ka m ein sphärisches Rauschen, das er als eine Bestätigung auffasste.
»Ist der Kerl schuldig, Harry? Hat er es getan?«
Erneut rauschte es als Antw ort und Møller nahm den Hörer des Apparates im Büro der Polizeipräsidentin ab.
»Was hast du gesagt, Harry? … au? Genau. Tja, wir werden das hier besprechen und halten Kontakt mit dir.«
Er legte auf.
»Was hat er gesagt?«
»Dass er es nicht weiß.«
221
Als Harry in seine Wohnung kam, war es spät. Im Le Boucheron war es voll gewesen, so dass er in einem Restaurant auf der Soi 4 in Patpong gegessen hatte, der Schwulenstraße. W ährend des Hauptgerichts war ein Mann an seinen Tisch gekommen, hatte höflich gefragt, ob er einen geblasen bekomm en wollte, und hatte sich nach Harrys Kopfschü tteln diskret wieder zurückgezogen.
Harry stieg in der fünften Et age aus dem Fahrstuhl. Es war niemand da und die Lichter am Pool waren aus. Er zog seine Kleider aus und sprang ins Becken. Das W asser umschloss ihn kühl. Er schwamm ein paar Bahne n und spürte den W iderstand des Wassers. Runa hatte gesagt, dass kein Becken dem anderen gleiche, dass jedes Wasser seine Eigenheiten habe, eine spezielle Konsistenz, Farbe, einen besonderen Geruch. In diese m Becken sei es die Vanille, hatte sie gesagt. Süßlich und etwas zäh. Er atmete ein, roch aber nur das Chlor und Bangkok. Er drehte sich auf den Rücken und schloss die Augen. Das Ge-räusch seines eigenen Atems unter Wasser gab ihm das Gefühl, in einem kleinen Raum eingesperrt zu sein. Er öffnete die
Augen. In einer der W ohnungen wurde ein Licht gelöscht. Ein Satellit bewegte sich langsam zwischen zw ei Sternen. Ein Motorrad mit einem Loch im Schalldämpfer versuchte davonzukommen. Dann glitt sein Blick wieder zurück zur Wohnung. Er zählte die Etagen noch einm al. Er schluckte Wasser. Es war seine Wohnung, in der das Licht gelöscht worden war.
Harry war blitzschnell aus dem W asser, zog sich die Hose an und sah sich vergeblich nach etwas um
, das er als Waffe
benutzen konnte. Er nahm den Poolkescher, der an der Wand stand, rannte die wenigen Mete r zum Aufzug und drückte den Knopf. Die Türen des Aufzugs glit ten zur Seite, er trat hinein und nahm einen schwachen Currygeruch wahr. Dann war es, als hätte man ihm eine Sekunde aus seinem Leben geschnitten, und als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Rücken auf dem kalten 222
Steinboden. Der Schlag hatte ihn glücklicherweise nur an der Stirn getroffen, doch eine ries ige Gestalt stand über ihm , und Harry erkannte sofort, dass seine Chancen schlecht standen. Er schlug mit dem Kescher und traf die Beine etwas oberhalb der Knie, aber der leichte Alum iniumschaft zeigte wenig W irkung.
Es gelang Harry, dem ersten Tritt auszuweichen und sich hinzuknien, doch der andere Tritt traf ihn an der Schulter und schleuderte ihn herum. Sein Rücken schm erzte, doch das s etzte die Adrenalinproduktion in Gang, und m it einem Schm erzens-schrei sprang er auf. Im Lichtschein des geöffneten Fahrstu hls sah er einen Zopf auf einem kahl rasierten Schädel tanzen. Da schnellte ein Arm nach vorne, traf ihn über dem Auge und ließ ihn nach hinten in Richtung B ecken taumeln. Die Gestalt kam ihm nach und Harry deutete eine n Schlag m it links an, ehe er seine Rechte dorthin schlug, wo er das Gesicht verm utete. Es war, als hätte er auf Granit ge schlagen und sich dabei selbst mehr verletzt als sein Gege nüber. Harry duckte sich und schwang den Kopf zur Seite, spür te den Luftzug eines Schlages und die stechende Angst in seiner Brust. Er tastete nach seinem Gürtel, fand die Handschellen und bekam sie mit drei Fingern zu fassen. Er wartete, bis die Gestalt näher kam , setzte alles darauf, dass kein Haken kommen würde, und duckte sich. Dann
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