Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
Mischung m it immer weniger Sauerstoff und imm er mehr todbringendem CO2. Man nannte das Hyperkapnie und er wü rde bald daran sterben. Das Schlimmste war, dass er so schnell atm ete, das würde den
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Prozess nur beschleunigen. Mit der Zeit würde er sch läfrig werden, das Hirn würde die Lust verlieren, w eiterzuatmen, er würde immer weniger Luft holen und schließlich ganz zu atm en aufhören.
Wie einsam, dachte Harry. Festgekettet. Wie die Elefanten auf den Flussschiffen. Er blies mit all seiner Kraft in das Rohr.
Anne Verk wohnte seit drei Jahren in Bangkok. Ihr Mann war der Chef von Shell Thailand, sie waren kinderlos, durchschnitt-lich unglücklich und würden noch ein paar Jahre m iteinander auskommen. Danach würde sie zurü ck nach Holland ziehen, ihr Studium abschließen und nach einem neuen Mann Ausschau halten. Aus reiner Langeweile ha tte sie sich als ehrenamtliche Empire-Lehrerin beworben und die Stelle zu ihrer Überraschung auch bekommen. Das Empire war ein Projekt, das den zahllosen jungen Prostituierten Unterricht anbot, vor allem in Englisch.
Anne Verk brachte ihne n bei, was sie in ih rem Alltag in d en Bars brauchten, deshalb kam en sie. Sie hockten hinter ihren Pulten, lächelnde, schüchterne ju nge Mädchen, die kicherten, wenn sie s ie bat, ihr n achzusprechen. »Darf ich Ihnen diese Zigarre anzünden, Sir?« oder »I ch bin noch Jungfrau. Sie sind aber ein stattlicher Herr, Sir. Wollen Sie einen Drink kaufen?«
Heute hatte eines der Mädchen ein neues rotes Kleid getragen, auf das sie sichtlich sto lz war. Es war, wie sie ihren Mits chülerinnen auf gestottertem Englisch erklärte, im Robertson Department Store gekauft … Manchm al war es schwer, sich vorzustellen, dass diese Mädc hen als Huren in einem von Bangkoks härtesten Vierteln arbeiteten.
Wie die m eisten Niederländer sp rach sie ausgesprochen gut Englisch, so dass sie an einem Abend in der Woche auch einige der anderen Lehrer unterrichtete. Sie stieg im fünften Stock aus dem Fahrstuhl. Es war ein ausn ehmend harter Abend gewesen mit heftigen Streitereien über die Unterrichtsmethoden und sie 227
sehnte sich danach, in ihrer zw eihundert Quadratmeter großen Wohnung die Schuhe auszuziehen, als sie die seltsamen heiseren Töne hörte. Sie glaubte zuerst, die Geräusche kämen vom Fluss, doch dann erkannte sie, dass sie vom Pool ka men. Sie fand den Lichtschalter und brauchte ein paar Sekunden, um den Anblick des Mannes unter Wasser und des herausragenden Poolkeschers aufzunehmen und zu verstehen. Dann rannte sie.
Harry sah das Licht angehen und die Gestalt, die am Beckenrand stand. Dann verschwand sie. Sie sah aus wie eine Frau. Hatte sie Panik bekommen? Harry spürte die ersten Anzeichen von Hyperkapnie. Theoretisch sollte es beinahe angenehm sein, als würde man in Narkoses chlaf gleiten, doch er spürte die Angst wie Gletscherwasser durch seine Adern rinn en. Er versuch te, sich zu konzentrieren, ruhig zu atmen, nicht zu viel und nicht zu wenig, aber es wurde immer schwieriger.
Er bemerkte deshalb nicht, dass der W asserstand zu sinken begonnen hatte, und als die Frau ins Becken sprang und ihn anhob, war er sich sicher, dass sie ein Engel war, der gekommen war, ihn zu holen.
Den Rest der Nacht hatte Harry vor allem Kopfschmerzen. Er saß auf einem Stuhl in seiner W ohnung, ein Arzt kam , nahm eine Blutprobe und erklärte ihm , was er für ei n Glück gehabt hatte. Als brauchte er jem anden, der ihm das erklärte. Später stand Liz neben ihm und notierte sich, was geschehen war.
»Was wollte er in der Wohnung?«, fragte sie.
»Keine Ahnung. Mir Angst einjagen, vielleicht?«
»Hat er etwas mitgenommen?«
Er sah sich um.
»Nicht, wenn meine Zahnbürste noch im Bad ist.«
»Blödmann! Wie fühlst du dich?«
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»Wie bei einem Kater.«
»Ich gebe sofort die Fahndung raus.«
»Vergiss es. Sieh zu, dass du nach Hause kommst und e in
bisschen Schlaf bekommst.«
»Wie großzügig du plötzlich bist.«
»Ich spiele gut, nicht w ahr?« Er rieb sich das Gesich t mit den Händen.
»Damit sollte man nicht spaßen, Harry. Bist du dir im Klaren darüber, dass du eine CO2-Vergiftung hast?«
»Die ist laut Arzt auch nicht sch limmer als bei jedem durch-schnittlichen Einwohner von Bangkok. Wirklich, Liz. Geh nach Hause, ich kann jetzt nicht m ehr mit dir reden. Ich bin morgen wieder fit.«
»Du nimmst dir morgen frei.«
»Wie du willst. Aber geh jetzt.«
Harry schluckte die Pillen, di e ihm der Arzt
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