Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
kann, was es ist, aber ich will das auf keinen Fall verlieren, denn ich weiß, dass ich es so schnell nicht wieder finde.«
Harry dachte, dass das auch kein besserer Grund war als all die anderen, die er schon gehört hatte. Jens fingerte an seinem Glas herum und grinste schief.
»Dieser Gefängnisaufenthalt zeigt bei mir eindeutig Wirkung, es sieht mir wirklich nicht ähnlich, über so etwas zu sprechen.
Versprechen Sie m ir, dass Sie das keinem Ihrer Kumpel erzählen.«
Der Kellner kam an ihren Tisch und gab ihnen ein Zeichen.
»Kommen Sie, es hat schon begonnen«, sagte Jens.
»Was hat begonnen?«
Der Kellner führte sie durch das Restaurant, dann durch die Küche und über eine enge Treppe nach oben. W
aschzuber
standen übereinandergestapelt im Flur und eine alte Frau saß auf einem Stuhl und grinste sie mit schwarzen Zähnen an.
»Betelnüsse«, sagte Jens. »Schreckliche Angewohnheit. Sie kauen die, bis ihnen das Hirn verfault und die Zähne ausfallen.«
Hinter einer Tür hörte Harry brüllende Männerstimm en. Der Kellner öffnete und dann waren sie auf eine m großen Dachbo-282
den ohne Fenster. Z wanzig, dreißig Männer bildeten einen dichten Kreis. Hände gesti kulierten und zeigten, während geknickte Geldscheine gezählt und in irrsinn iger Geschwindigkeit weitergegeben wurden. Die meisten Männer waren Weiße, manche trugen helle Baum wollanzüge. Harry glaubte, ein Gesicht aus der Autoren loge im Hotel Oriental wiederzuerkennen.
»Hahnenkampf«, erklärte Jens. »Private Veranstaltung.«
»Warum?« Harry musste bei all dem Lär m rufen. »Ich m eine gelesen zu haben, dass Hahnenkämp fe in Thailand noch erlaubt sind.«
»Im Prinzip schon. Die Behörden haben eine m odifizierte Variante des Hahnenkampfes genehm igt, bei der unter andere m die Sporen auf der Rückseite der Füße eingewickelt werden, damit sie sich nicht töten können. Und es gibt ein Zeitlim it,
keinen Kampf m ehr auf Leben und Tod, bis einer am Boden liegt. Hier findet alles noch nach alten Regeln statt. Und es gibt keine Beschränkung, wie viel m an setzen darf. Sollen wir näher herangehen?«
Harry überragte die Männer vor si ch und blickte in den Kreis.
Zwei Hähne, beide braunrot und orange, umkreisten sich m it wackelnden Köpfen und schienen sich auffällig wenig für einander zu interessieren.
»Wie wollen die die zwei dazu bringen, gegeneinander zu kämpfen?«, fragte Harry.
»Keine Sorge. Diese zwei Hä hne hassen sich m ehr, als wir zwei das jemals schaffen würden.«
»Warum?«
Jens sah ihn an. »Sie stehen im gleichen Ring. Und sie sind Hähne.«
Dann gingen sie, wie auf ein Signal, aufeinander los. D
as
Einzige, was Harry erkennen konnte, waren flatternde Flügel 283
und umherfliegende Halme. Die Männer brüllten vor Aufregung und einige begannen, auf und ab zu springen. Es breitete sich ein seltsamer bittersüßer Geruch n ach Adrenalin und Schweiß i m Raum aus.
»Sehen Sie den mit dem geteilten Kamm?«, fragte Jens.
Harry sah nichts.
»Das ist der Sieger.«
»Wie sehen Sie das?«
»Ich sehe es nicht. Ich weiß es. Ich wusste das schon vorher.«
»Wie …?«
»Fragen Sie nicht.« Jens lächelte.
Die Schreie verstumm ten abrupt. Ein Hahn lag im Ring. Jemand stöhnte, ein Mann in einem grauen Leinenanzug schleuderte seinen Hut wütend zu Boden. Harry betrachtete den ster-benden Hahn. Ein Muskel unter den Federn zuckte, dann blieb er regungslos liegen. Es war absurd, es hatte wie ein Spiel ausgesehen, wie eine Masse aus Federn, Beinen und Geschrei.
Eine blutige Feder segelte an seinem Gesicht vorbei. Der Hahn wurde von einem Thailänder in weiten Hosen aus dem Ring genommen. Er sah aus, als wäre er den Tränen nah. Der andere Hahn stolzierte wieder herum . Jetzt sah Harry den geteilten Hahnenkamm.
Der Kellner ka m mit einem Bündel Scheine zu Jens. Einige der anderen Männer sahen ihn
an, manche nickten, doch
niemand sagte etwas.
»Kommt es auch m al vor, dass Sie verlieren?«, fragte Harry, als sie wieder am Fenster des Restaurants saßen . Jens hatte sich eine Zigarre angezündet und eine n Cognac bestellt, einen alten Richard Hennessy 40%, bei dem der Kellner zweim al nachfra-gen musste. Es war unglaublich, dass dieser Jens derselbe Mann war, den Harry tags zuvor am Telefon getröstet hatte.
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»Wissen Sie, warum Spielen eine Krankheit ist und kein Beruf, Harry? Weil die Spieler das Risiko lieben. Sie leben und atmen für das Gefühl zitternder Ungewissheit.«
Er
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